Eine Geschichte von Maelve
*Es ist ein kunstvoll gebundenes Buch mit feinstem, gebleichtem Ledereinband. Geprägte Buchstaben geben den in Auriel verfassten Titel „Jassavia – die weiße Stadt“ preis. Das Buch selbst ist mit zum Teil recht alt wirkendem aber feinstem Pergament gebunden, zum Teil auch jüngerem Pergament, so als hätte der Autor es über mehrere Götterläufe hinweg verfasst. Der gesamte Text ist, wie schon der Titel, ebenso in feingeschwungenem Auriel geschrieben, manche Worte sogar in einer noch älteren Form des Auriels, sodass sie nur schwer zu entziffern scheinen.*
Jassavia – die weiße Stadt
Zu einer Zeit, als die Welt in einem Zustand tiefster Barbarei, Krieg und Dunkelheit versank und die junge Menschheit noch in ihrem Zeitalter der Rohheit und Barbarei war, gab es auf Tare einen Ort, welcher inmitten der Finsternis der Amulettkriege eine Bastion der Hoffnung und der höchsten aller Kulturen war. „Jassavia“, lautet sein Name in der uralten Sprache der Elfen – die weiße Stadt.
In unserer Zeit ist die Sage um den Höhepunkt unserer Kultur nur mehr eine Legende und Jassavia droht in Vergessenheit zu geraten. Wenige unserer Kinder hören noch die Geschichten um die weiße Stadt, noch weniger unserer Brüder und Schwestern können sie erzählen und die wenigsten haben ein klares Bild vor Augen, wie es gewesen sein musste an einem Ort, der auf Tare niemals wieder existieren sollte.
Doch eines ist gewiss. Jassavia war der Höhepunkt unserer hochelfischen Kultur und mit dem Untergang Jassavias brach nicht nur für unser Volk, sondern auch für Tare die Abenddämmerung an. Und nun, nach so langer Zeit, seit dem Ende des Amulettkrieges, ist uns bewusst, dass diese Welt ihr baldiges Ende erwartet.
Und je näher sie an dieses Ende gerät, desto kleiner wird unser Volk, desto ferner rückt die Zeit, zu der wir den Höhepunkt unseres hochelfischen Lebens fanden.
Was uns nunmehr nur bleibt ist unser Dienst vor Astrael, die junge Menschheit zu bewahren und ihr ein Spiegel zu sein – bis unser Geschlecht das Ende auf Tare findet und zurück nach Lothorien kehrt.
Wo Jassavia einst existierte? Das weiß niemand mehr zu sagen und selbst die ältesten Schriften machen Rätsel um den Ort, an dem Jassavia vor mehr als 10.000 Götterläufen zu finden war. Ein Berg – Laehir in der uralten Sprache genannt – muss es gewesen sein, um den herum die Stadt gebaut war, auf ihm die weiße Zitadelle.
Inmitten Falandriens, muss es gewesen sein, wo dieser Berg zu finden war, um ihn herum die weiße Stadt.
Er war nicht verborgen – wie könnte man auch einen Ort verbergen, der wie strahlendes Licht in dunkelster Finsternis leuchtet?
Er war leicht zu finden und alleine die Reise in die Nähe der Stadt war ein Fest für die Sinne. Hügelwiesen von grünstem Grün. Pflanzen und Tiere, welche heute nicht mehr existieren.
Und in der Ferne diese weißen, gewaltigen Mauern, welche den Berg Laehir umgaben wie ein riesiger Schutzwall.
In alten Schriften liest man, wie geblendet einer wurde, der sie plötzlich über dem Horizont auftauchen sah, als sie im Licht Felas strahlten und, dass sie selbst bei Nacht sich hell in der Dunkelheit abzeichneten.
Massivster Granit, der zu einem unglaublich feinen Mauerwerk verarbeitet wurde. Passgenau fügte sich jeder einzelne Quader an seinen nächsten und verschmolz durch elfische Handwerkskunst miteinander.
Ausgekleidet mit weißem Marmor, der von so feiner Passgenauigkeit war, dass keiner behaupten konnte, er habe je eine Fuge im Mauerwerk gefunden, selbst wenn er danach gesucht hätte.
In die Höhe ragte die Stadtmauer so hoch wie vier elfische Dhaus lang sind und so breit war sie, dass eine Hundertschaft von elfischen Schützen auf jedem Abschnitt des Walles Platz gefunden hätte. Dies musste die zweite und letzte Stadtmauer gewesen sein, welche während des Amulettkrieges, zu Beginn des dritten Zeitalters, errichtet worden war, als die Stadt selbst weit über den ersten Wall hinaus wuchs. Dieser war weitaus kleiner und von unschuldigerer Gestalt und schützte die Tempelanlagen, die große Bibliothek und die Pfade, welche zur weißen Zitadelle, den Berg Laehir hinauf, führten..
„Bei Arkadon! Es ist ein wahrhaftig ehrfurchtsvoller Anblick, den die Spitzenohren dort geschaffen haben. Sagen kann man über sie, was man will, doch dieses Werk ist selbst unseren Gebirgswällen würdig. Es wird alle Zeiten überdauern!“ – Erkharm Eisenbrecht, Sohn des Bargrad
Hohe Türme ragten über die Mauern, ebenso weiß wie Schnee, mit feinstem Marmor bekleidet.
Die Dächer jedoch, schien Fela auf sie, spiegelten alle Farben wider und nahmen einen, der sie zum ersten mal gesehen hatte, unwillkürlich schon aus der Ferne in ihren Bann, so als hätte Vitama die höchsten Höhen der weißen Stadt angehaucht und ihr lieblicher Atem spielte nun mit Schiefersteinen und Flaggen.
Das lag an dem hellblauen, geschliffenen und polierten Schieferstein, der jedes Dach bekleidete. Der so fein und facettenreich geschliffen und poliert war, dass er wie ein Spiegel, der nicht eine glatte, sondern unzählige Flächen besitzt, das Lichterspiel der Himmel in sich aufnahm und in alle Himmelsrichtungen widerspiegelte.
Und hoch oben auf dem Berg, in der Mitte der Stadt, lag die weiße Zitadelle, welche als letzter sicherer Hort Tares galt, würden Jassavias Mauern jemals fallen. Und in welcher die edelsten und kampffährtigsten unserer Brüder und Schwestern, die weiße Garde, Wache hielt, bis einst die dunkelste Stunde käme, in der es nötig wäre, diesen Ort zu verteidigen.
Das weiße Portal
Das Portal, der Eingang zur Stadt, war nicht weniger beeindruckend als die Mauern an sich. Silbernweißer Stahl, nicht besonders hoch oder breit, sodass gerade ein Dutzend Waagen zugleich und nebeneinander hindurch passten.
Weshalb das Portal nicht der Größe der Mauern entsprach, darüber kann selbst unser Volk nur noch mutmaßen. Doch wer weiß? Eine Stadt des Friedens, die brauchte keine Portale, welche Armeen in kürzester Zeit hinaus oder hinein ließen.
Sie brauchte ein Portal, welches groß genug war, den Ansturm von Flüchtlingen aufzunehmen und zugleich klein genug war, um ohne Mühen verteidigt werden zu können.
Der elfische, weißliche Stahl wurde zu zwei großen Flügeln gegossen – tatsächlich besaßen sie auch die Form von eleganten Flügeln, mit den feinsten Formen und Gravuren, welche elfische Handwerkskunst zustande brachte.
Und dabei wurde es mit einer so großen Leichtigkeit bewegt, dass wenige Elfen dazu im Stande waren, wozu ein anderes, gleichstarkes Portal von Pferden bewegt werden musste.
Das Tor jedoch wurde nur bei Angriffen auf die Stadt geschlossen. Es stand stets offen für Reisende, Händler und jeden, der in den Wirren des Amulettkrieges nach Schutz suchte.
„Es ist nicht nur ein Hort, an dem wir stets Schutz finden, wenn unsere Städte im Krieg überfallen und niedergebrannt werden. Es ist auch ein Ort, an dem wir stets willkommen sind und nie behelligt werden. Die Elfen, sie schweigen gerne und betrachten dann nur – meinen Kindern macht das Freude, denn sie spüren die Gutherzigkeit dieser Wesen. Mich erschreckt es ein wenig, denn ich begreife nicht, wie ein Volk so rein und gütig bleiben kann in einer Zeit, die so dunkel und grauenvoll ist. Man kommt sich selbst vor wie ein Kind und so hat man stets ein schlechtes Gewissen, ob man die Güte dieser Wesen nicht einen Moment zu lange auskostet. Doch ich sah nie, dass einem ihre Obhut entsagt wurde.
Dann verlassen wir Jassavia wieder, wie die Elfen ihre Stadt nennen – wir nennen sie nur die weiße Stadt – und versuchen Obhut zu finden in einer menschlichen Stadt. Und werden wir dort abgewiesen, weil es zu gefährlich sei, noch weitere Flüchtlinge aufzunehmen, so kehren wir wieder in die weiße Stadt zurück und warten dort das Ende der Kämpfe ab.“ – Sindara die Ältere, Archivarin
Die Gründung Jassavias
Es muss vor etwa 12.000 Götterläufen gewesen sein, als hochelfische Pilgerer in Falandrien auszogen um den Willen und das Werk Astraels zu ergründen. Viele Jahre lang streiften sie durch die rohen und unberührten Ländereien, die wir heute Galadon nennen. Sie erwehrten sich den barbarischen Völkern und Sippen, lebten dort, wohin sie ihre Füße trugen und schrieben all das nieder, was ihnen zuteil wurde, ganz gleich wie nichtig es auch schien.
Viele der menschlichen Siedlungen, die nie zuvor einen unseres Geschlechtes in ihrer Nähe sahen, waren beeindruckt von der Weisheit unseres Wesens.
Sie nahmen dankbar unseren Rat und unser Wissen an. Diese Siedlungen waren es auch, welche sich als erste unter den Menschen entwickelten und im Laufe der Jahrhunderte zu Städten heran wuchsen.
So vergingen die Jahre, in denen elfische Pilgerer und Missionare durch Falandrien zogen, auf der Suche nach dem Willen Astraels, ohne zu wissen, dass sie diesen unlängst erfüllten in aller Art die ihnen möglich war.
Und als Astrael, der seine Kinder stets beobachtet und ihr Werk auf Tare wohlwollend betrachtet, sah, dass seine Söhne und Töchter der Welt zu Wissen und Erkenntnis verhalfen, da hatte er großes Mitleid mit ihnen, denn sie selbst erkannten nicht.
Er schickte seinen höchsten Diener, Argionemes, herab zu den Hochelfen.
Argionemes jedoch, der die kleine Schar von Elfen sah, zeigte sich ihnen nicht gleich. Er zog zum Berge Laehir, hob auf dessen höchsten Höhen seinen silbernen Stab, gefertigt aus dem feinsten, leichtesten Gestein des Astreyon, und ließ in ihm das göttliche Licht der Vier erstrahlen.
Unsere Brüder und Schwestern sahen das Licht. Und als sie es sahen, da machten sie sich ohne zu zögern auf und kamen am Fuße des Berges zusammen.
Und als sie alle beisammen waren, aus den entferntesten Winkeln Falandriens, in denen sie suchten und missionierten, da erlosch plötzlich Argionemes Licht.
Und Argionemes verließ den Gipfel des Berges und ließ sich herab auf die Erde, auf der die Elfen standen.
„Ihr, die ihr durch die Güte der Vier mit großem Wissen und der Macht über die Gabe des Herren, Astrael, gesegnet seid. Die ihr Elfen genannt werdet. Ihr sucht seit Zeitaltern den Willen eures Schöpfers und sein Werk auf Tare. Und seit Zeitaltern habt ihr es längst gefunden.
Denn eure Suche ist sein Wille und alles Wissen sein Werk.
Sie wird niemals enden, denn sie ist, was das Werk in eure Welt bringt.
Nun wisset auch ihr und habet auch ihr erkannt, was ihr den jungen Völkern gelehret habt.
Gehet und fahret fort mit eurem Werk, doch nicht mit dem Gedanken, den Willen zu suchen, sondern mit dem Wissen, ihn zu kennen und ihn zu erfüllen. Bewahret die jungen Völker davor, Falsches zu begehen. Seid ihnen ein Spiegel ihrer selbst.“
So sprach Argionemes mit sanfter, Ehrfurcht gebietender Stimme zu dem Volke Astraels herab. Und er reichte seinen Stab, gefertigt aus dem Silber des Astreyons, dem ältesten der Elfen.
Als Alendhir ihn an sich nahm, da wurde sein Geist erhellt und was er zuvor von Argionemes hörte, das wurde unwiderruflich und in aller Erkenntnis in seinem Geiste gewahr.
An diesem Ort nun ließen sich die Pilgerer endlich nieder. Und der Stab, der nunmehr das heiligste, bekannte Relikt der Götter war, der wurde wohlbehütet und ein Tempel um ihn herum errichtet. Seine Erbauer wussten, dass dieser heiligste aller Orte, in einer Welt so dunkel wie diese, in ständiger Gefahr wäre geschädigt zu werden. Und so errichteten sie weitere Mauern und Schreine aller vier Götter.
Und zu deren Schutze fand nun, vor etwa 12.000 Götterläufen, der erste Bau der weißen Zitadelle statt, hoch oben auf dem Berg Laehir.
Der Tempel und die große Bibliothek
„So machte ich mich auf, den Tempel zu betreten. Nachdem ich die einhundert Stufen der Eingangstreppe erklommen hatte, war ich nicht wenig verwundert, die Wächter des Tempels zu sehen. Diese Elfen von ewigem Alter hatten die selbe schlichte, doch edle, Kleidung wie die, welche vor dem Tore wachten. Doch trugen sie einen in hellstem Blau leuchtenden Umhang, welcher Ihre Gestalt zum Teil verhüllte.
Als Waffen trugen sie nicht Schwert oder Bogen wie alle anderen die ich sah, sondern Stäbe aus grauem Holz, kunstvoll mit Schnitzereien verziert. Doch das was mich am meisten an Ihnen beeindruckte war Ihr Gesicht. Es war voller Würde und Entschlossenheit und ward von etwas geziert was ich bei Elfen noch nie zuvor gesehen hatte. Jetzt wusste ich warum man sie „die Alten“ nannte. Sie trugen kleine Spitzbärte von grauem Haar am Kinn.
Ohne eine Miene zu verziehen, ließen sie mich passieren, doch bemerkte ich sehr wohl ihre stete Bereitschaft einzugreifen, die Spannung war förmlich spürbar in der Luft.“ – Tortius Malagat (Auszug aus dem Werk „Falandrien zu Fuß“)
Die Tempelanlagen Jassavias mussten zu dieser Zeit ihresgleichen gesucht haben. Am Fuße des Berges Laehir errichtet, war er eines der ersten Bauwerke der großen Stadt. Sagen, die von der Gründung Jassavias sprechen, beginnen bei der Suche nach dem höchsten Gut, das ein Lebender auf Tare erfahren kann – den Willen der Vier.
Im Laufe der Zeit haben sich mehr und mehr Siedler um den Berg Laehir niedergelassen. Und je weiter die Zeit rannte, desto größer wurde auch Jassavia und desto größer und gewaltiger die Tempelanlage, welche stets ausgebaut wurde, um den Göttern gerecht zu bleiben.
Doch es ist nicht unbedingt Größe und nicht Prunk, der die heilige Stätte ausmachte, sondern vielmehr ihre Gestaltung und göttliche Nähe.
Kreisförmig aufgebaut und dadurch auch kreisförmig immer wieder erweitert, findet sich im Zentrum der Anlage das Allerheiligste, welches nur den Ältesten zugänglich war. Der Aufbewahrungort des Stabes Jassavias.
Um diesen heiligen Ort reihen sich Schreine um Schreine aller vier Götter. Jeder von ihnen bewacht von Tempelwächtern, welche zu den ältesten des hochelfischen Geschlechtes gehörten und sowohl in Ruhe, wie Wissen als auch ihrer Nähe zu den Göttern herausragten.
Ihre Bekleidung, so wie die jedes Bewohners Jassavias und auch der Tempelpriester, war von eleganter, reinweißer Schlichtheit. Ein weißes Gewand, ein hellblauer Umhang.
Waffen findet man unter ihnen nicht. Nur einen Stab aus edelstem Holz, reichlich verziert und wohlbehütet von seinem Träger.
Innerhalb der Tempelanlagen wurde die große Bibliothek Jassavias errichtet. Ein Hort des Wissens, welcher zu seiner Zeit von unvergleichbarer Größe und Bestand war. Denn während die Welt in der Dunkelheit des Krieges versank und auch die junge Menschheit noch in ihren Kinderschuhen steckte und die wenigsten derer sich um Wissen bemühten, wurde die Bibliothek Jassavias im Laufe der Jahrtausende wohl behütet und stets Wissen durch ihre Schriften dort aufbewahrt und gesammelt.
Es stimmt einen nun traurig zu erkennen, dass ein solcher Ort, nach seiner Zerstörung, nie wieder auf Tare gesehen wurde. Auch die Bibliotheken unseres Zeitalters reichten niemals an die Jassavias heran und werden auch niemals an sie heran reichen.
Wenige Schriften existieren noch, die aus diesem Ort stammen und werden behütet in den heiligsten aller Stätten der Menschen- und Elfenreiche. Doch die meisten sind verschollen und werden bis zum Ende der Zeit auch mit großer Gewissheit nicht wieder von einem Lebenden gefunden.
Die weiße Zitadelle
„Ich war in Jassavia.
Wie es sich geziemt strebte ich sogleich dem Tempel zu, um Astrael für die gelungene Reise zu danken. Ihn zu finden war leicht, wusste doch ein jeder, dass er am Fuße des einzigen Berges in der Stadt lag. Diesen zu finden war wahrlich nicht schwer, thronte doch auf Ihm die weiße Festung, das Heim der Tempelkrieger. Man sagt, die Festung sei der einzige wirklich unbeflekte Ort auf ganz Tare, und bei Ihrem Anblick wusste ich auch woher diese Legende stammte. Ein jeder der sie erblickte ward sofort gefangen von Ihrer Pracht und Wehrhaftigkeit.“ – Tortius Malagat (Auszug aus dem Werk „Falandrien zu Fuß“)
Jassavia, das einst als Tempelstätte gegründet wurde, musste den Ältesten bewusst gewesen sein, als heiliger Ort welcher auch großes Unheil anziehen konnte. Denn in einer Zeit, in der neben den Hochkulturen der Elfen und Zwerge, nur Barbarei existierte, zog ein solcher Ort des Lichtes unweigerlich auch die Schatten dieser Welt an.
So wurde auf den Anhöhen des Berges Laehir die weiße Festung errichtet. Eine Trutzburg, in welcher die Wächter des Tempels lebten und welche bald nicht nur den Tempel sondern auch die Siedlungen, die sich um ihn formten, behüteten.
Wie auch die zweite Stadtmauer Jassavias, ist diese Festung mit reinstem, fugenlosem Marmor ausgekleidet. Das Gemäuer an sich bestand aus hartem Granit.
Zwei hohe, spitz zulaufende Türme zierten jeweils die westliche, wie die östliche Seite der Festung und dienten sowohl als Schutz- wie auch als Spähtürme. Zu dieser Zeit waren die Dächer jedoch noch ohne jeden Schmuck, aus roten Schiefersteinen geformt, welche das Licht Felas nicht reflektierten.
Das Tor, aus elfischem Silberstahl geschmiedet, hatte, wie auch später das Stadtportal, die Form zweier Flügel und eben diese Gravuren und Einbuchtungen, die Federn darstellten.
Im Laufe der Jahrtausende wurde die weiße Festung weiter und weiter ausgebaut, um dem Schutz, den die wachsende Stadt Jassavia bedurfte, gerecht zu bleiben.
Es heißt in den Legenden, welche vom Untergang Jassavias berichten, dass die weiße Zitadelle (wie sie zum Ende der Amulettkriege genannt wurde, ob ihrer Uneinnehmbarkeit), selbst den Untergang Jassavias unbeschadet überdauerte.
Höhepunkt der Hochelfenkultur
Wann immer Jassavia auch errichtet wurde, dort fand die Kultur des elfischen Geschlechtes ihren Höhepunkt.
Es war eine Zeit, noch vor dem dritten Zeitalter, in denen neben den Elfen und Zwergen, die übrigen Völker noch am Beginn ihrer Entwicklung standen.
Das junge Volk der Menschen lebte in barbarischen Siedlungen, in Sippen und wandernden Gemeinschaften, die sich erst nach und nach an den verschiedensten Orten Falandriens nieder ließen.
Einzig das Volk der Zwerge besaß eine vergleichbare aber eher zurückgezogene Kultur, in diesem Zeitalter. Es ist über uralte, sagenumwobene Bergfesten und Gebirgshallen, von der Größe ganzer Städte zu lesen. Von Bibliotheken zwergischer Runenschriften, die der von Jassavia womöglich in nichts nach standen.
Von dem heute festgesetzten Misstrauen zueinander schienen beide Völker, die der Elfen als auch die der Zwerge, in dieser Zeit kaum betroffen.
So war es auch üblich, dass man all‘ diese Völker in Jassavia, als es im Laufe der Zeit immer größer und bedeutender wurde, friedlich beieinander sah. Sei es, weil sie Handel und Umtausch mit dem hochelfischen Volk suchten. Sei es, weil sie Schutz suchten oder sei es nur, weil sie Obhut nach langer Reise benötigten.
Dieses Merkmal der damaligen Hochkultur ist umso bedeutsamer, als dass es zeigt, dass die Abgeschiedenheit und das Misstrauen des elfischen Geschlechtes zu den meisten Menschen und Zwergen, erst nach dem Fall Jassavias sich entwickelt haben musste.
Denn obgleich auch in dem vergangenen Zeitalter eine gewisse Distanz zwischen uns und den jungen wie alten Völkern herrschte, so war diese doch nur auf den verschiedensten Kulturen begründet. Ein Hochelf, der seine Abstammung und die Götter ehrt, hätte nun unweigerlich nicht dem Glauben eines Zwergen oder sogar Menschen einstimmen können.
Doch eine Kunst war es damals wie sie es heute noch ist, den Völkern ihren Glauben zu belassen und mit Wohlwollen auf sie zu schauen, um sie von dort zu bewahren und verstehen zu können.
Ein Grundsatz, welcher die Kultur unseres Volkes zu den Zeiten Jassavias erblühen ließ und durch den ein reges Umgehen mit allen Völkern zustande gekommen sein musste.
„Bereits einige Tage weile ich nun in der weißen Stadt, ich habe sie kennen und lieben gelernt. Die Elfen, die hier leben sind allesamt von freundlichem und ehrlichem Gemüt, auch wenn ich unter Ihnen immer das Gefühl habe nur ein unbedeutender Schüler zu sein.
Es ist eine erhabene Stadt, allein die Bibliothek umfasst einen Raum gleich dem Königspalaste. Das Theater – gestern war ich dort – ist ein Bau wie ich Ihn nie zuvor kannte, ein geschlossener Bau, innen mit magischem Licht erhellt. Keine rußigen Fackeln oder schummrigen Kohlebecken sondern Magisches Licht, immer passend zur Szene.
Auch die Badehäuser konnte ich genießen. Wohl temperiert für jeden Geschmack, gespeißt aus einer Quelle tief unter der Stadt, waren sie Balsam für meine müden Knochen. Auch waren sie angefüllt mit Elfen, welche sich tiefgreifenden philosophischen und architektonischen Diskussionen hingaben, während sie das Bad genossen.
Viele Völker sind hier zu Besuch. Sogar Zwerge sah ich hier friedlich mit Elfen diskutieren, und die weiße Stadt schien ihnen ihre sonst so eigene Brummigkeit völlig genommen zu haben. Alle die ich traf, gleich welchem Volk sie angehörten, waren stets heiter und voller Wissensdurst, es ist wahrhaftig die Stadt der Schönheit und des Wissens.“ – Tortius Malagat (Auszug aus dem Werk „Falandrien zu Fuß“)
Wie es ein Höhepunkt so an sich hat, auch wenn es traurig ist, dies eingestehen zu müssen, so klingt er, ist er erst einmal erreicht, auch langsam wieder ab.
Bis in unser Zeitalter hat es niemals wieder einen Ort gleich Jassavia gegeben. Und es scheint, dass mit dem Untergang dieser schönsten und größten aller Städte, das Geschlecht der Elfen die letzte Reise auf Tare angetreten hat. Denn es hat sich nie wieder von diesem Schlag erholt.
Das Volk der Menschen hat sich mit jedem Zeitalter weiterentwickelt. Es ist von einer kulturlosen Ansammlung vereinzelter, barbarischer Sippen zu einem gebildeten Volk heran gewachsen, welches es in diesem Zeitalter weiß, Wissen und Kultur sehr hoch zu schätzen.
Das Volk der Hochelfen jedoch, dass seinen Höhepunkt in Jassavia fand, erlebt seit dessen Niedergang auch das Ende seines Geschlechtes. Es ist ein langsamer Weg zurück nach Lothorien und während die Welt ihre Abenddämmerung erlebt, entfernt sich das Volk der Hochelfen immer weiter von ihr. Trotz vieler Versuche, eine Kultur zurück zu erlangen, welche zu Hochzeiten existierte, scheint es uns nicht mehr möglich, diese zu erreichen. Zu eng ist unsere Nähe mit den Menschen, zu schwach unsere Kräfte.
Vieles ist verloren, vieles niemals vergessen.
Der Fall Jassavias hat unser Geschlecht geprägt. Vieles was Heute ist, ist auf diesen Moment zurück zu führen.
Der Fall Jassavias
„Allein stehe ich hier, abgeschnitten von meinen Brüdern und Schwestern. Hinter mir das gewaltige Festungstor, gefertigt aus über eintausend Lagen besten Elfenstahles, eingefügt in die gewaltige Festungsmauer von weißem Marmor. Seit Jahrhunderten stand es so, unbeschadet von Wind und Wetter.
Geschützt durch mächtige Zauber und Kriegern wie ihm und seinen Brüdern war es niemals erforderlich gewesen es zu schließen. Stets stand es einladend offen, doch wurde es niemals von einem Feind erreicht oder gar durchschritten.
Vor 3 Tagen war es nun geschehen, der sonst immer klare Himmel über der Stadt verfinsterte sich vom Horizont her. Auf der gleichen Höhe mit den finsteren, nicht einen Sonnenstrahl durchlassenden, Wolken näherte sich auch auf dem Boden die Finsternis. Diese jedoch war weit mehr als nur der Schatten der Wolken. Es war eine Finsternis die zu brodeln und zu kochen schien. Die hell erklingenden Alarmglocken, welche das letzte mal vor 30 Götterläufen erklangen, zeigten ihm überdeutlich was es war. Der Feind rückte auf die Stadt vor.
Doch es war nicht wie sonst. Schon viele Kämpfe hatte er miterlebt, gegen grünhäutige Orken, gegen hinterhältige Menschen und auch gegen die wütenden Zwerge. Sie alle waren an den Mauern zerschellt und letztendlich hatte jedes Imperium die Souveränität seiner Stadt anerkannt.
[…]
Niemals zuvor hatte eine Schlacht des Ordens länger als einen Zyklus gedauert, und niemals war er unterlegen. Nun jedoch schienen Astrael und Bellum sich abgewandt zu haben. Ganze dreißig Zyklen dauerte die Schlacht nun schon an. Und es sah nicht gut aus für uns.
Doch keimte Hoffnung in allen auf, als man aus der Ferne den Gesang der Kampftänzer den Schlachtenlärm übertönen hörte. Die Vettern aus den Auen kämpften selten, und noch seltener erschienen sie, um „Steinhaufen“, wie sie unsere Städte nannten, zu verteidigen. Doch schienen sie die Glocken über Tage hinweg gehört zu haben und eilten nun herbei um uns beizustehen.
In einer letzten großen Kraftanstrengung gelang es den Brüdern eines der Tore freizukämpfen und unter großen Verlusten erkämpften sie einen Weg für die Vettern in die Stadt, welche diesen auch schnell beschritten. Hinter ihnen wurden die mächtigen Tore geschlossen und es sollte die Verteidigung mit ihnen neu organisiert werden.
Ihr Anführer war ein Vetter von außergewöhnlicher Ausstrahlung und Kampfeskraft. Und mitten in der Stadt erhob er alsdann das Wort, und alle hingen hoffnungsvoll an seinen Lippen.
„Brüder, lasst uns nun das Werk des Herrn vollenden!“
Er sprach es aus und ging mit all den Seinen auf meine Brüder los, welche überrascht von einer solchen Wendung, der Gegenwehr kaum fähig waren.“ – Auszug aus „Der Torwächter“
Jassavias Untergang ist nach Sagen der Art, wie sie die Geschichte des „Torwächters“ der weißen Zitadelle erzählt, auf den Zeitpunkt des Endes der Amulettkriege zurück zu führen.
Obgleich die Stadt nicht gänzlich zerstört wurde, als sich die Heerscharen Angamons zurück zogen, konnte sie sich niemals wieder von ihren Verlusten und dem Verrat ihrer Vettern erholen.
Die weiße Zitadelle nahm ein dunkles Schicksal ein, denn sie wurde nie wieder von einem Elfen betreten und niemals wieder von einem verlassen. Was mit denen geschah, die Schutz in ihr suchten, ist nicht gewiss. Ebenso wie wenig wie gewiss ist, weshalb sie nie wieder betreten wurde. Und selbst wenn dies überliefert wäre – diese Schrift wäre von unvorstellbarem Wert und würde wohl niemals in den Händen eines Lebenden auftauchen.
Nach und nach wurde die einst so hohe Stadt Jassavia von ihren letzten Bewohnern verlassen. Die Hochelfen, welche sich zutiefst grämten, ob des Verrates ihrer Vettern, suchten von nun an die Nähe in kleinen Gemeinschaften, Familien gleich, um so einander besser überschauen zu können und zu helfen, wann immer einer von ihnen drohte vom rechten Pfad abzukommen.
Andere suchten sich in größeren, ebenso festen Gemeinschaften neue Orte, um den Versuch zu beginnen einen weiteren Hort des Lichtes aufzubauen. Doch niemals reichten die Baukünste unseres Geschlechtes wieder an die der Altvorderen zurück.
Trotz des Verrates unserer Vettern, scheint unser Volk jedoch niemals Argwohn den Geschwistern aus den Auen entgegen gebracht zu haben. Zum einen mag es daran liegen, dass die Legenden und Sagen um Jassavia kaum noch verbreitet sind. Zum anderen auch daran, dass niemals einer von uns anzweifelte, dass es nicht das Werk der Auenelfen, sondern das Werk Angamons war, welches Jassavia untergehen ließ.
Dass es somit die eigene Schuld gewesen ist, nicht die wachsende Korrumption in unseren Geschwistern erkannt zu haben. Die Konsequenz aus alle dem war schließlich die Einkehr in engen, vertrauten Gemeinschaften.
Es sollte jedoch ein Mahnmal sein für jeden unseres Geschlechtes. Ein Mahnmal das bezeugt, dass auch eines der ältesten, weisesten und treuesten Geschlechter nicht vor dem Werk Angamons verschont bleibt und sich ebenso davor hüten muss wie jedes andere.
Während nun das Geschlecht der Hochelfen sich in den Wirren der vom Krieg zerstörten Ländereien ein neues Zuhause suchte, entwickelte sich die Menschheit im Laufe der Jahrtausende nach und nach weiter. Direkt zum Ende des Amulettkrieges formte sich ein großes Menschenreich, das galadonische, welches seinen Einfluss schon bald und bis heute fast vollständig, über ganz Falandrien fand.
Unser Volk jedoch, es hat es sich immer weiter zurückgezogen oder sich unter die Menschen gemischt, um auf diese Weise die eigene, untergehende Kultur zu erhalten. Und es mag nicht verwunderlich sein, dass die Menschheit gerade darum sich auf diese Weise entwickelte und in kürzester Zeit erlangte, wofür das elfische Geschlecht Jahrtausende brauchte.
Doch wie es nun so ist, wenn ein Kind in aller Kürze das lernt, was seine Eltern ein Leben lang verinnerlichten, erreichte die junge Menschheit niemals das Ideal der hochelfischen Kultur und wird es aufgrund seiner Kurzlebigkeit auch niemals erreichen.
Der Stab Jassavias, dieses uralte Relikt, welches von Astrael selbst geschaffen war – was mit ihm geschah, darüber sprechen selbst Legenden nicht. Orden und Gemeinschaften von hochelfischen Nachfahren haben sich seit Ende der Amulettkriege auf die Suche nach diesem Stabe gemacht, doch ob und wann er gefunden wurde, oder ob er jemals gefunden werden wird, das weiß Astrael alleine.
Dies ist ein kleiner Teil der Geschichte Jassavias, welche aus so wenigen verbliebenen Schriften und den Erinnerungen und Erzählungen, die von Bruder zu Bruder weiter getragen wurden, zusammengefasst und für die Ewigkeit erhalten bleiben soll.
Maelve Rhyntarin
Geschrieben im vierten Zeitalter der Lebenden
Es liegt ein bleierner Schatten über der Welt,
das erste Licht nach finsterster Nacht –
es scheint sanft, vernarbtes Land erhellt –
durchdringt doch nicht, was niemals mehr erwacht.
Weiße Mauern fielen zu Füßen herab,
brüderliche Schilde zerbarsten einander,
die Hoffnung ward zur Trauer gemacht.
Komm! wir wollen ihn vertreiben –
Trauer lähmt unsere Glieder, Verlust lässt missen
was voller Hoffnung ersehnt, zu verbleiben.
Ein Weinen erklingt auf Tares geschundenem Leib,
als hätten die Götter ihn verlassen.
Bruder, es ist Zeit Heim zu kehren! Verbleib,
im Leben das Werk der Höchsten vollendet zu lassen.
„Hast du gesehen, als Ja’ssâvia im Schatten verschwand?
Da ein goldenes Licht sich in der Ferne,
um die Stätte der Jüngsten sich wand.“
Unsre Zeit nun neigt sich dem Ende,
in der wir wie Väter und Mütter gedacht,
denn von sich aus hat der Jüngste die Wende,
im tausendjährigen Krieg gebracht.