Illis‘ G’schichtenecke
Die kleine Bibliothek in Draconis, deren Eingangstür verborgen in einer schmalen Seitengasse liegt, empfing schon lange keine Besucher mehr. Schwere Buchenholz-Bretter, vom stetigen Tropfen, niedergehend von den eitel emporragenden Dächern bereits aufgeweicht und morsch, versperren den Eingang. Die Türe hinter sich lassend, scheint sich der stickige Raum selbst zu verschlucken. Staubgetränkt schimmern Vergangenheit, Worte, Gedanken in Felas Lichte, welches brach durch die geschwärzten Fenster einfällt. Ein Sessel, bezogen mit einst tiefrotem Seidenstoff, steht abwartend in der Ecke. Abwartend sich an jenen Körper zu schmiegen, der sich mit einem Buch in der Hand nieder lässt und bereit ist die Fantasie Tares Wirklichkeit werden zu lassen.
II Von stämmigen Bräuten, Neid und einem Apfel
III Letzter Tag
I Die Überfahrt
(Siebenwind’scher Krimi. Frei nach Agatha Christie’s „Mord im Orientexpress“ )
Auf und ab. Auf und ab. Stetig. Getragen von sich leicht wogenden Wellen gleitet das Schiffe, genannt nach einem jener welcher einst in dem ihrigen Leben etwas erreicht hatten, über die Weiten des Wassers. Unendlich? So man seinen eigenen Augen zu trauen vermochte, ja. Himmel und Meer, sich berührend, verschmelzend an jenem Punkte an welchem die Sonne Tag für Tag dieser langen Reise zu versinken pflegte. Des Schlafes Trägheit und wohliger Ruhe über die Welt ausbreitend..
„…die Sterne, Ann! Wie sie hier funkelnd und erhaben über uns stehen. Noch nie konnte ich sie in solcher Deutlichkeit erkennen. Selbst während unsren schönen gemeinsamen Zeiten nicht. Meine liebes Schwesterchen. Liegend unter jener alten, weisen Eiche, deren Äste sich krümend in den nächtlichen Himmel streckten. Wohl nach den leuchtenden Augen des dunkeln Zeltes greifend. Was hatten wir uns zu erzählen. Wir waren unser Halt. Du warst es, welche zu meiner Seite trat, so die Zeiten es verlangten. Vertrauen. Verständnis. Dankbarkeit. Die Sterne, Ann. Wie schön…“
Reges Treiben überschwemmt das Deck des kleinen Zweimasters. Kreaturen, geweckt von den durch die Ritzen der hölzernen Wände einfallenden ersten Sonnenstrahlen. Tummelnd. Das Gespräch untereinander suchend, wie sie es jeden Morgen tun. Ein oftmals kläglicher Versuch die Langeweile dieser ewigen Reise gen‘ neuen Landen zu dämpfen. Doch was haben sich Orken und Menschen zu erzählen? Welche zwergischen Geschichten, einst vorgetragen in grossen Hallen, wüssten es das Gemüt eines vom Stolze befallenen Hochelfen zu befriedigen? So erschallt es. Morgens. Jenes Gelächter und Geschwatze, das Gekeife und Geknurre. Das Rauschen des Meeres übertönend. Die Blicke, argwöhnisch, neugierig die Sonderlichkeiten des Gegenübers abwandernd. Man wolle mit ihnen ja nichts zu tun haben, doch wie solle man sich auf so engem Raume aus dem Wege gehen? So gebe man sich halt notgedrungen hin. Der Orken Gestank ist an der frischen, vom Salze getränkten Luft, ja noch im Bereiche des Erträglichen.
Nur langsam ihre Schritte. Lautlos berühren die glatten Fussohlen den rauen Holzboden. Das weisse wallende Kleid leicht anhebend. Der Vogel. Sitzend und wachsam auf der Schulter, den Kopf hastig zu allen Seiten drehend. Gedankenlos geht sie voran. Vorbei an jenem Trubel. Vorbei an den Geschöpfen Tares. Vorbei an jenem beinahe ironischen, täglichen Schauspiel. Nur langsam ihre Schritte.
Ein Schrei. Durchdringend und sich in den engen Gängen des schwankenden Gefährtes verlierend. Schweigen macht sich breit unter jenen, welche gerade noch die Neuigkeiten aus Falandrien und das neuste Gerücht über das königliche Hause im Munde hin und her drehten und die bittere Freude am Leide Anderer aus ihnen aussaugten. Zurück bleibt Stille…
„Ann, liebe Ann. Fremdes wandelt auf diesem Schiffe. Vieles ist mir nicht bekannt. Grosse Gestalten mit spitzen Zähnen und kleine mit Haaren auf ihren Füssen, wie wir sie auf dem Kopf zu tragen gewohnt sind. Nicht geheuer. Und so überraschen mich die neusten Ereignisse nicht. Lass mich es dir erzählen…“
…zurück bleibt Stille und die leise Melodie. Untergegangen unter dem Lärm. Dem Kenner der musischen Künste als Lied des Waldes bekannt, gespielt von flinken elfischen Fingern auf den Saiten einer Harfe. Ein weiterer Schrei, oder bezeichnen wir es als Kreischen, denn mit dem vorhergegangenen sei es kaum gleichzusetzten. Einer aufgeschreckten Meute Ratten gleich strömt die Menge in Richtung der Kajüten. Spekulierend. Hoffend. Einige werden belohnt.. Auf dem Boden, die Arme und Beine zu einem seltsamen Gebilde verrenkt liegt eine junge Frau. Rot. Blut sucht sich seinen Weg, dem Laufe der feinen Kerben im Boden folgend. Kleine Bächlein, begleitet vom sinnlichen Klange des Harfespiels und den entsetzten, mit einer Prise Erleichterung gewürzten Blicke der Anwesenden. Die Langeweile, sie ist vorüber.
„…und so banden sie ihren Körper in Bandagen aus feinstem Stoffe, trugen ihn hinauf an Deck und übergaben ihn der See. Ein grausiges Schicksal. Wahrlich. Ich habe Angst. Obwohl sie kurz nach jenem Funde einen der Grünhäutigen in Ketten legten und in eine dunkle Kammer sperrten. Etwas stimmt nicht. Die Angst, sie kriecht den meinigen Rücken hoch und setzt sich lauernd in meinen Nacken. Ich werde Turi losschicken mit diesem und jenen Briefen die ich bereits geschrieben habe. Soll er sie mit schnellem Flügelschlag zu dir geleiten, Schwesterchen. Freudig erwarte ich deine Antwort. Meine Gedanken sind bei dir.“
Ein Gähnen verzieht sein raues und von einigen Narben und Falten durchfurchtes Gesicht. Schlurfenden Schrittes stolpert er die Treppen hinunter, immer darauf bedacht, den Teller mit dem stinkenden Essen, wohl jenes, das vor einigen Tagen bei einem üppigen Mahl an Deck übrig blieb, nicht zu verschütten. Welch tragischer Anblick. So haben sie ihm doch gesagt er solle zur See fahren. Eine vernünftige Arbeit, welche seine Eltern und seine notravische Abstammung mit Stolz erfülle. Und nun? Einen Teller in der Hand, keine Dukaten in der Tasche. Zu seinem überschwenglichen Glücke gesellt sich nun auch noch die Tatsache den persönlichen Diener eins stinkenden Orken spielen zu dürfen. Ein Grummeln. Ein Stolpern. Seinen wuchtigen Körper geschickt mit der einen Hand, stützend auf der von der Treppe gegenüberliegenenden Wand auffangend, landet der Teller und das köstliche Mahl scheppernd verteilt vor der Tür zur einzigen Zelle an Bord des Kutters. Den frühen Morgen verfluchend bückt sich der Bärtige. Die Esswaren einsammelnd. Anrichtend. Darüber pustend. Dann, mit nordländischer Flinkheit, zieht er einen Bund mit einigen gusseisernen Schlüsseln hervor, greift zielsicher einen derselben und steckt ihn ins Schloss. Wie er es schon zu oft getan hat. Reinstecken, drehen, klick, klack. Ganz einfach. Das darauffolgenden erneute Scheppern des Tellers dürfte auch jene Reisenden geweckt haben, welche das erste mit einem kurzen Schmatzen und Zurseitedrehen auf dem minder weichen Bette ignorierten. Nun war er wach. Vom Mute verlassen stürmt der Notrave die Treppe hoch, ein Bild zurücklassend, doch wohl niemals vergessend.
Schnell machte die Neuigkeit die Runde, einem Feuer, gelegt in der Trockenheit Endophals, nicht unähnlich. Der Mörder ermordet? So soll man sich wirklich getäuscht haben? Unmöglich. Man habe ihn gefunden, den stinkenden Orken, mit den eigenen eisernen Fesseln erwürgt. Und Aufgeschlitzt! Und die Zunge soll ihm rausgeschnitten worden sein! Und.. Neues Futter führ die achso hungrigen Passagiere. Es noch so gerne verschlingend und mit Einzelheiten, zwar nie dagewesen, aber dem Dagewesenen den letzten Schliff verleihend, ausschmückend. Schon beinahe nebensächlich wird die, wiederum in feinste Tücher gewickelte Gestalt über Bord geworfen. Wer war es? Zuerst vereinzelt, dann konkret, schleicht sich diese Frage in die angeregten Gespräche. Schnell ward ein neuer schuldiger gefunden. So er ja auch so merkwürdig ist. Den ganzen Tag unter Deck, in die Ecke zurückgezogen, die Harfe spielend und aus dem Wald soll er auch noch kommen.. Eindeutig schuldig.
Nur langsam ihre Schritte. Lautlos berühren die glatten Fussohlen den rauen Holzboden. Das weisse wallende Kleid leicht anhebend. Gedankenlos geht sie voran. Vorbei an jenem Trubel. Vorbei an jenen Beschuldigungen. Vorbei an jenem ironischen Schauspiel. Nur langsam ihre Schritte.
„…erinnerst du dich an jene Eiche, Ann? Nie werd ich sie vergessen. Die feine Rinde. Der Duft des Harzes, wie er allabendlich die Luft erfüllte. Das Rauschen der Blätter im Winde. Hast du dich jemals gefragt wieso wir uns so nahe stehen? Ich mich schon. Es scheint als kennst du mich besser als ich mich selbst. In jenen Stunden, Tagen und Wochen nach dem Tode unserer geliebten Eltern warst du für mich da. Tröstend. Ich sehe es vor mir wie ich sie damals fand. Liegend auf dem Boden. Von dem eben noch durch ihre Adern pulsierendem Blutes bedeckt. Mama und Papa. Noch immer trage ich jene Zeichnung bei mir, die einst ein begabter junger Maler von uns allen anfertigte, während eines Ausfluges, an einem sonnigen und warmen Tage wie diesem. Doch ich schwelge in Erinnerungen. Ann, ich hoffe meine Briefe haben dich erreicht und Turi findet seinen Weg zu mir zurück. Dieser hier wartet schon darauf zu dir zu gelangen…“
Das leise platschende Geräusch wird von einem erleichterten und mit Wehmut getränktem Ausatmen der Anwesenden begleitet. Nun ward die Sache erledigt. Wohl niemand hätte gedacht, dass sich hinter einem solch zierlichen, elfischen Körper eine Kraft verbirgt, die es fünf stämmigen Männern kaum ermöglichte, ihn über die Reeling und somit ins tiefe Blau des Meeres zu befördern. So soll an jenem Gerüchte etwas Wahres sein, dass die Elfen aus dem Walde und von den Wiesen Angst vor dem Wasser haben? Apropos Gerüchte und Geschichten… Ruhe scheint sich über dem Schiffe auszubreiten. Die Gespräche werden wieder aufgenommen. Geregelte Bahnen. Langeweile. Kreisend auch die Bahnen des Vogels, welcher sich in elegantem Fluge langsam dem Maste des Schiffes nähert. Und dann.. die einen mögen es geahnt haben. Ein Schrei.
Die Nacht. Die Stille. Dunkel und erdrückend liegen sie über dem schlafenden Schiffe. Nur langsam ihre Schritte. Lautlos berühren die glatten Fusssohlen den rauen Holzboden. Mit zitternder Hand hebt sie ihr weisses wallende Kleid an. Umschlingt mit der anderen ein Seil, aus der Dunkelheit fallend, nur zu erahnen, dass es am Maste des Schiffes befestigt ist, und steigt mühseelig auf die Reeling. Halt suchend.
„Ann, es ist etwas passiert. Turi ist zurückgekehrt. Er hatte Briefe dabei. Meine Handschrift, Ann. Es ward meine Handschrift auf ihnen. Wo bist du, Schwesterchen? Ich hab es hervorgenommen, jenes Bild. Von Uns. Mama, Papa, dir und mir. Du warst nicht darauf. Wieso warst du nicht auf dem Bild, Ann?“
Kühl, die spätabendliche Luft. Ruhig ihr Atem, getragen von kleinen Wölkchen. Aufsteigend. Ihr Blick findet zum Himmel, ehe sich ein Lächeln auf ihre Lippen legt.
„Dich gibt es nicht. Schwesterchen? Nie haben wir zusammen unter der alten Eiche gelegen. Nie lange, endlose Gespräche geführt. Doch bist du immer für mich da gewesen. Du bist auch jetzt hier. In mir. Ich habe vielen Menschen weh getan, Kummer bereitet. Mama. Papa. Den Passagieren, blind auf der Suche nach Hoffnung und einem Neuanfang auf Siebenwind. Bin ich krank?
Mein Kleid, Ann, mein schönes weisses Kleid, dass mir meine Mutter vor vielen Jahren gefertigt hat. Es ist nicht mehr weiss. Rote Flecken, überall diese roten Flecken.“
Neckisch spielt der sachte Hauch des Windes mit ihren Haaren, während sie die Arme langsam ausbreitet und ins Tiefe Schwarz des Wassers blickt. Funkelnde Pünktchen. Tausende. Sich auf der ruhigen Oberfläche wiederspiegelnd.
„Mein letzter Brief an dich, Schwesterchen. Die Sterne! Ann, wie sie hier funkelnd und erhaben über mir stehen. Wie schön.. Ich werde zu ihnen gehen.“
Mit wellender Eleganz schmiegt sich ihr weisses Kleid an ihren Körper. Ihn umgarnend. Während sie fällt und schliesslich Eintaucht in die Dunkelheit des Meeres. Und des Schlafes Trägheit und wohlige Ruhe breitet sich über ihre Welt aus.
Freudige Erwartung steht in den Gesichtern jener, welche, wartend auf Angehörige und Anvertraute, die, über den schmalen Steg aussteigenden Reisenden beobachtet. „Papa, Papa!“ Ein kleiner Junge löst sich aus der Menge und rennt, wild mit den Armen fuchtelnd in Richtung des Piers. Von den offenen Armen eines älteren, wohlbetuchten Herren schon erwartet. Umarmung. Kuss. Kuss. „Papa, du warst lange weg. Wie war es denn mit dem grossen Schiff zu fahren?“ Hand in Hand schlendern die beiden dem Pier entlang. „Ach mein Junge. Nichts zu tun. Nichts zu erleben. Und eine grosse Langeweile ward mit an Bord. Und soll ich dir was sagen?“ Leicht weiten sich die Augen des Kleinen, während sich sein Vater zu ihm hinab bückt und einen Blick zurück zum Schiffe wirft. „Die Orken stinken ganz fürchterlich..“
II Von stämmigen Bräuten, Neid und einem Apfel
(Angelehnt an den Hintergrund der Zwerge)
„Sag, erinnerst du dich an jenes Feste der Zwerge? Welch Pracht. Welch Bärte. Welch Braten. Nichts gegen deinen Brei, Liebste. Er schmeckt wahrlich… Wahrlich speziell. Aber hast du ihn nicht immer noch in deiner Nase? Der Duft. Schmeckst du die Zartheit des Fleisches noch auf deiner Zunge? Die Grösse von vier Kühen hatte er. Jaja. Es ward an einem Tage, an dem die Sonne hoch über einer, mit Schnee, gefallen in der Nacht zuvor, bedeckten Landschaft stand. Morsan. Kühle und eisiger Atem. Ein jeder war gekommen, obschon keine Einladungen verschickt wurden. Der Dwarschim mit dem flammenden Haupthaar. Die rundliche, wohlgenährte Tochter des familieneigenen Bäckers. Ein eigenbrötlerischer Schmied, seinen Hammer niemals aus der Hand legend. Viele mehr. Und wir. Zwei Elfen. Inmitten eines Völkchens aus Haaren und erhobenen, wohl überraschend grossen Biergläsern. Eine Ehre. Wenn man bedenke, dass ich nichts anderes für jene Ladenden getan habe, als ab und an in ihrer Taverne, beim lauschigen Lichte einer Laterne, Geschichten vorzutragen. Die hohe, steinerne Halle ward reich geschmückt. Rüstungen, schimmernd und auf Hochglanz poliert gingen Hand in Hand mit Blumen, deren Blüten, gross wie ich sie noch nie zuvor sah, geknüpft und zusammengefügt zu wundersamen Gebilden. Hängend von der kaum sichtbaren Decke und aufgestellt inmitten der Wartenden. Viele Köpfe. Viele hungernde und knurrende Mägen. Welche jedoch alsobald verstummten. In einem Kleid wie es farbenfroher nicht hätte sein können stand sie unter dem grossen Torbogen. Die Braut. Von stämmiger Natur und einem Kranze aus weissen und blauen Blumen auf dem Kopf. Ein einprägender Anblick. Ohne weiteres Zögern riss sich die Menge auseinander. Einen Weg zur Mitte der Halle bildend. Offene Münder. Offenes Getuschel. Hatte sie etwa abgenommen? Wie viel dieses Kleid wohl wieder gekostet hat? Und überhaupt, welch Glück sie habe. Entschlossenen und festen Schrittes durchschritt die Dame des Tages den freigelegten Pfad, gesäumt von Freude, guten Wünschen und Neid. Drei Gestalten, nur noch schemenhaft mag ich mich an sie erinnern, empfingen sie. Und mit ihnen der zu Vermählende. Zitternd am ganzen Körper. Was natürlich nicht zu sehen war, doch zu hören. Ein klimperndes goldenes Kettenhemd. Kein einfacher Schritt für einen Manne, musst du wissen mein Engel. Die ewige Bindung. So… ewig halt. So war das bei unserer Trauung unter den Linden bei Mondeschein natürlich ganz anders. Versteh mich nicht falsch. Doch wollen wir nicht von der Geschichte abweichen. In feierlichem Tone ergriff einer der Gestalten das Wort. Und es sollten noch viele Wörter folgen. Zu jedem weiteren gesellte sich wiederum ein knurrender Magen, eben noch geschwiegen nun nach seinem verdienten Lohne für das lange Warten fordernd. Dann ward es soweit. Das Fest. Rauschend und erlösend. Erhobene Biergläser. Fallen gelassene Vorsätze. So stritt man sich noch während den Feierlichkeiten darüber was nun der Höhepunkt sei. Der hemmungslose Tanz der vollschlanken Bäckerstochter auf dem zu unstabilen Tische oder der althergebrachte Brauch des Apfels. Geschnitten in zwei Hälften. Liegend vor dem Brautpaare. Der Anzahl Kerne gleich sollen Kinder aus der Frucht ihrer Liebe entspringen. So sage man. Ein kleines Zwergenmädchen, kaum den eigenen Stoffwindeln entwachsen, hatte die ehrenvolle und zugleich wichtige Aufgabe mit seinen kleinen Fingern die Samen aus der Frucht Gehäuse zu pohlen. Welch gute Gelegenheit die gelernten zählerischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Ein Kernchen. Auf den Boden geworfen. Zwei Kernchen. Auf den Boden geworfen. Drei Kernchen. Auf den Boden geworfen. Und so kam der Moment an welchem des Mädchens Künste an ihre Grenzen gelangten. Ganz im Gegensatze zu den Kernen. Offene Münder. Offenes Getuschel. Und ein Brautpaar rückwärts vom Banke fallend. Ein Granatapfel! Der aufklärende Zwischenruf. Gefolgt von erleichtertem Raunen und schallendem Gelächter. Welch übler doch lustiger Streich. Jaja, die Dwarschim wussten es kecke Witze zu reissen. Das Brautpaar lachte nicht. Regungslos am Boden liegend, die Augen weit aufgerissen. Herzen lieben. Herzen versagen. Eheringe verbinden. So versagten die ihrigen an diesem, ihrem schönsten Abend gemeinsam. Noch lange brauchte es bis alle, auch wir, die traurige Nachricht erfuhren. Und so ging man nach Hause. Ohne sich zu verabschieden. Man würde sich ja an der Bestattung sowieso wieder sehen. Und schon wieder müsse der Bart gekämmt und das Kettenhemd poliert werden. Man ging nach Hause mit einem merkwürdigem Gefühle im Magen. Und der Frage was es wohl an der Bestattung zu Essen geben werde. Braten?“
III Letzter Tag
Ist der Kröten Kleid wahrhaftig grün, so man es mit den Augen einer Hoffnungslosen betrachtet?
Langsam tragen sie ihre dünnen Beine durch die engen Gassen. Schwebendes Gleiten. Eingekesselt von mehr oder weniger sauber verarbeitetem Mauerwerk. Moos, über die Jahre angesetzt, frisst sich in den harten Stein. Unnachgiebig an ihm nagend. Ein Gefängnis? Doch nein, es öffnet sich vor ihr jener Pfad, gibt einen Platz frei, weit und mit gepflastertem Boden. Wellen aus Geräuschen, Gerüchen und Schatten brechen über ihr zusammen. Sie ertrinkt nicht. Klammert sich fest an jenen hölzernen Pfahl, gehörend zu einem Verkaufsstand, wie sie hier noch zu dutzenden aufgestellt sind. „Kauft meinen Fisch, der einzig Frische auf diesem Markte!“ Sie geht leicht in die Knie, den Blick auf die vorbeihuschenden Gestalten gerichtet. Emsiges Treiben. Farben. Stoffe. „Werter Herr, wie viel mag dieser Umhang kosten?“ Zögerlich löst sich ihr Griff. Schreitet voran und streckt ihre Hand aus. Lässt sie wandern über die Menschen. Berührt die edle Dame, gekleidet in zartes Rosa, feilschend um jede Münze und den Sacke voller Gold in der Hand. Lässt ihre Fingerkuppen wandern über den Herrn in eisernen Rüste, stramm stehend und seinen Dienste im Namen einer gesichtslosen Organisation verrichtend, ohne Frage zu stellen, ohne Zweifel zu hegen. Ertastet des Diebes krummen Rücken, gebückt um den Nichtbetuchten ihr letztes Säcklein aus der Tasche zu ziehen. Wird begleitet von ungläubigen Blicken, empörtem Gemurmel, uneinsichtigem Kopfschütteln. „Der Bote! Frisch gedruckt. Der Bote!“
„Schon oft war ich hier. Habe gekauft. Habe verkauft. Wurde verkauft. Doch, so ich nun in die Gesichter jener schaue, welche Tag ein, Tag aus meinen Weg kreuzten so erblicke ich sie doch erst jetzt. Weshalb haben sie sich verloren? Verloren im Ganzen. Untergegangen in der Menge. Mögen auch sie es sehen, jene Meute wilder Tiere, sich kämpfend von Stand zu Stand, sich lügend von Angebot zu Angebot. Gebrochenes Lächeln aufgesetzt. Zähne gefletscht. Gebrochenes Lächeln abgenommen. Friedlich kauend. Doch ich werde es mitnehmen, dieses Bild, und es bewahren.“
Ihre Griff umschliesst die kunstvoll geschwungenen, gusseisernen Klinke, vereinzelt verziert mit kleinen Blumen. Wie kalt sie doch ist, obwohl sie vom Aufgang der Sonne, bis zum Erglühen der Sterne durch tausende von Händen geht. Sie öffnet die Tür. Stimmen, hohe, tiefe, kratzende, wohlklingende, sich beschwerende, anzweifelnde, übertreibende, lautlose. „Noch ein Bier bitte.“ Freundlich wird sie empfangen von jener jungen Frau Lächeln, in dem ihrigen Alter und stehend hinter einem langen Tresen, sich quer durch den ganzen Raum ziehend. Doch ward es von ihr nicht gesehen. Langsam schwebt sie von Tisch zu Tisch, liebevoll gedeckt mit roten Tüchern, flackernden Kerzen und duftenden Mahlzeiten. „Hast du das neuste Gerücht schon gehört?“ Steckt ihren Finger in die dampfende Suppe. Kostet. Beisst ab vom knusprigen Brot. Kostet. Trinkt aus dem halbvollen Weinglas. Und kostet. Nimmt sich Zeit, lässt ein jeden Gaumenschmaus auf ihrer Zunge vergehen. „Darf man ihnen noch etwas bringen?“ Schliesst die Augen und findet sich wieder auf selbigem Platze, die herrische Stimme der Tavernenwirtin im Nacken. Das Lächeln verflogen, eine finstere Miene an seinen Platze getreten. Was einem auch einfalle. Kein Anstand. Mit wetternden Sätzen schmeisst sie um sich, doch werden diese weder gehört noch wahrgenommen.
„Und ihre Lippen hängen an ihren Gläsern, ebenso wie ihre Gedanken dem Vergangenen, Verpassten und Unerfüllten nachhängen. Ersäufen ihr Leid. Trinken ihre Gegenwart schön und merken nicht wie sie an ihnen vorbeizieht, wie sie vergeht, wie sie sie verpassen und sie unerfüllt zur Vergangenheit wird. So hoffe ich, wachen sie auf. Doch ich werde es mitnehmen, dieses Bild, und es bewahren.“
Sie geht. Verlässt die Menschen. Verlässt die Stadt. Lässt sie hinter sich, die Mauern, die Türen und kommt zu jenem Orte der Stille. Von der Nacht umschlungen stehen sie, die Weiden, ihre Äste weit gen Boden geneigt. Ihn streichelnd. Und hinter ihnen liegt der Teich, ruhige Wellen und das Licht des Mondes auf seiner Oberfläche tragend. Schon am Morgen hatte sie es sich vorgenommen. Sachte hebt sie ihr langes, weisses Kleid an und taucht ihre Füsse ins Wasser ein. Kühl und doch wärmer als vieles, was sie heute und ihr ganzes klägliches Leben lang erlebt hatte. Unverstanden. Ungeliebt. Sie hatte sie gesehen, die Welt. Sie nimmt sie mit, die Bilder, und bewahrt sie auf. Ewig. Schritt für Schritt. Das Wasser schwappt, in kaum merklichen Wellen von ihr weg, umschliesst sie. Schwebend auf dem schwarzen Teppich, ihr Kleid. Während sie untergeht.
Denn am Rande des Teiches, zwischen Farnen und Halmen sitzt eine Kröte mit einem, im Mondeschein, silbern schimmerndem Kleid.
VII „Sei mein Gast.“
„Erkennst du sie nicht, Glücklicher, erkennst du nicht meine allumfassende Barmherzigkeit? Verschliesse sie nicht länger, die deinen drei Augen, schlag die vom Leben müden Lider empor und erblicke die Gnade tausender Gezeiten. Ich bin die Pforte Lothoriens, ich bin der Wille Morsans, erachte es als ein Privileg durch meine zarte Hand heimkehren zu dürfen. Das Brennen meines letzten Kusses in alle Ewigkeit verzehrend deine Wange, der Duft meines Haars erdrückend deine Lungen, atemlos ins ewige Sein. Sprich, bin ich nicht barmherzig? Sei mein Handeln nicht gnädig?“
„..die Macht sei ihm zu Kopfe gestiegen, meinem alten Freund. Wie bedauerlich. Trachtet er nach mehr und mehr, seit man ihm diesen nichts sagenden Titel verlieh, ja gar nach meinem Besitz und Ansehen. Sein bevorstehender Besuch kündet Ungutes an. Wir müssen vorbereitet sein. Besorge dir was du brauchst und beweise mir erneut deine Liebe. Du bist mein, wirst immer mein sein, unschuldiger blonder Engel.“ Ihre feinen Hände legen sich um den weichen Saum der Kapuze, ziehen sie über den goldenen Schopf, noch während sie die steile Wendeltreppe des Turmes empor steigt. Die Nacht war kühl doch windstill. Die Monde standen erhaben, in all ihrer Weisheit still beobachtend am Firmament. Und noch bevor das leise Knarren der Turmtür ihren ersten Schritt auf die lange Wallmauer ankündigte, wendeten sich die postierten Wachen um, streifen sie im Vorbeigehen und überlassen sie, wissend um das Bevorstehende, der Ruhe. Ihre Handballen berühren den kalten, kräftigen Stein, während sich die schlafende Landschaft schmückend vor ihr ausbreitet. Ein schlängelnder Weg, mehr eine dunkle Linie im nächtlichen Schein der Sterne, findet seinen Lauf vom fernen Horizont, durchwandernd ein kleines Waldstück, bis hin zur leicht erhöht gebauten Burg und dem Haupttore unter ihr. Aus den zahlreichen Kaminen des nahen Dörfchens steigt deutlich erkennbar weisser Rauch auf, Watte, geformt von nicht vorhandenen Händen. Friedliche Idylle. Sie würde warten.
Das leise Schnauben aufgescheuchter Pferde drang erstaunlich spät an ihr ansonsten so scharfes Gehör, die Ruhe schien selbst aufflammende Geräusche sofort wieder zu verschlucken. Vielleicht hatte sie sich auch nicht genügend konzentriert, ihre Gedanken weilten bei ihm. Für ihn würde sie ihr eigen Leben lassen, doch nun ward dieses Opfer an jemand anderem. Sie reckt ihren schlanken Körper und stösst sich mit müheloser Leichtigkeit auf die Brüstung der Mauer, zieht sich mit Hilfe ihrer zierlichen Zehen die übergestreiften Schuhe aus. Höchster Punkt, tiefster Fall. Denn dort in der Ferne prescht ein Licht die Landstrasse entlang, sich nähernd in unaufhaltsamem Tempo. Geübt und fliessend sind ihre Bewegungen als die Elfe bedacht die Kordel ihres Umhanges öffnet und jener zu Boden gleitet. Ein fallendes Blatt im Wind. Der Bogen, sorgsam auf ihren Rücken gebunden, ist von silbergrauem Holze, scheint im Lichte der Monde von unbekanntem Geiste beseelt. Ein zerreissendes Knarren als die Räder des Gefährts am aufsteigenden Strassenrand entlang streifen. Ungehalten treibt der Kutscher die zwei nervösen Tiere an, gelbe Zähne verbeissen sich in metallenem Zaumzeug. Der hagere Mann im rot ausgepolsterten Inneren döst vor sich hin, lässt sich ob der unruhigen Fahrt nicht aus den Träumen von Macht und Herrschaft reissen. Endlos scheint sich die Kutsche über den ungastlichen Weg zur Burg voran zu kämpfen. Das Licht nähert sich. Ihre langen Finger legen sich um den warmen Griff des Langbogens, senken jenen an ihren Oberschenkel hinab. Gleichmässig ist die Atmung des Unwissenden in seinem purpurnen fahrenden Gehäuse, strömt über die dünnen Lippen und lässt die Enden seines gezwirbelten Schnäuzers erzittern. Die blankpolierte Rüstung scheppert als sich einer der abkommandierten Soldaten im Burghof an die Mauer lehnt und abwartend gen’ Festungsturm blickt.
Und das Licht der Laterne nähert sich, lässt die Umrisse des Kutschers und seines Gefährts vom Dunkel abheben. „..die Macht sei ihm zu Kopfe gestiegen, meinem alten Freund. Wie bedauerlich..“ Für eine Büste, schmückend den Burgeingang, hätte man sie halten können, gebärde sich ihr blondes Haar nicht flackernd unter der dunklen Kapuze hervor. Sie legt die Waffe an, eine Fingerkuppe wandert der geschmeidigen Sehne entlang, fühlt ihre Straffheit, ihr Wille zu dienen, schneidend in das Fleisch der Hochelfe. „Du bist mein, wirst immer mein sein, unschuldiger blonder Engel.“ Der erste Pfeil, rauschend, schneidend die kühle Luft durchschlägt die Schulter des antreibenden Kutschers, lässt seinen Leib zur Seite sinken und unter das wilde, haltlose Gefährt fallen. Der zweite folgt ein Augenzwinkern später. Das getroffene Rad berstet in tausend Stück und jagt den Knall der an der Burgmauer zerschellenden Kutsche durch den Innenhof. Lichter entzünden in den Fenstern des fernen Dorfes, aufgeweckt aus des Schlafes Tiefe. Das Zusammenzucken der harrenden Soldaten lässt jene ihr Augenmerk auf die kleine Turmtür lenken, mit ihren Blicken die hochgewachsene, weibliche Gestalt, begleitend, verhüllt von einer tiefen Kapuze, wandelnd zum Zimmer des Sires. Das Zeichen wieder Stellung zu beziehen und zu wachen, bis der Morgen sein säuberndes Kleid über die Lande legen würde und das Geschehene als unwirklicher Traum in Vergessenheit gerate. Wie schon so viele Male zuvor. Denn sie gehörte ihm und nur ihm.