1.
Als der menschliche Wirt das Zimmer seines Gastes betrat, da schlief der Zwerg noch fest. In der Zimmerecke stand ein schwer beladener Rucksack mit allem, was ein Wanderer braucht. Direkt neben dem Bett, gradezu griffbereit, lehnte eine Axt. Die Klinge war geschärft, doch auf der Breitseite waren viele Schrammen und Macken zu sehen. Auf dem Stuhl neben dem Bett lagen einige Rüstungsteile. Das Kettenhemd, mit dem der Zwerg bei ihm untergekommen war, war nirgends zu sehen: der Zwerg musste es wohl sogar im Schlaf noch tragen.
„Heda, aufwachen. Zum vierten Hellzyklus muss jeder sein Zimmer räumen!“ rief der Wirt. Der nicht ganz taufrische Zwerg mit seinen grauen Haaren schlief seelenruhig weiter. „Aufwachen!“…keine Reaktion. Schließlich schlug der Wirt mit seinem Gehstock gegen das Fußende des Bettes. Tock Tock Bumm Bumm
BAMM
Grade so konnte er die Keule des großen Trolls noch mit dem Axtstiel parieren und etwas abbremsen. Aber der Schwung war doch zu kräftig um ganz aufgehalten werden zu können. Mit abgebremster Wucht traf ihn die Keule des Trolls an der Seite des Gesichts…aber auch ein abgebremster Schlag eines großen Trolls ist immens wuchtig. BAMM Er spürte für einen Moment das mahlende, knirschende Gefühl in seinem Mund, als ihm durch die Wucht des Aufpralls alle Zähne in seinem Mund herausgeschlagen wurden. Doch Bruchteile eines Moments später wurde das Gefühl von rasendem Schmerz überdeckt. Nie zuvor hatte er solchen Schmerz erlebt. Und nie zuvor war er so in Rage geraten. Vorher hatte er immer mit kühlem Kopf gekämpft, doch nach diesem Treffer stürmte er mit einer Gewalt auf den Troll los, die er noch nie entfesselt hatte. Sein erster Hieb trennte dem Troll den Unterarm knapp über dem Handgelenk durch, der zweite durchtrennte die Sehnen am Knie und ließ den Troll nach vorne stürzen. Noch bevor sein massiger Körper auf den Boden schlug, hatte er ihm in einer rasanten Bewegung mit der Axt den Kopf vom Hals geschlagen. Kaum das der Troll tot war, übermannte ihn die Ohnmacht und erlöste ihn zeitweilig von den Schmerzen.
Just in dem Moment, wo er im Traum ohnmächtig wurde, schreckte er hoch. Tock Bumm Bamm klopfte der Wirt gegen sein Bett. Und unmittelbar spürte der Zwerg wieder diesen alles überdeckenden Schmerz in seinem zahnlosen Mund. Er war so intensiv, das er ihm augenblicklich Schweiß aus allen Poren des Körpers trieb. Er riss die Augen weit auf und öffnete den zahnlosen Mund zu einem heiseren Schrei.
Dieser Anblick war für den Wirt zu viel: ein irre dreinblickender, zahnloser Zwergenkrieger, dessen Haare und Bart wild zerzaust in alle Richtungen abstand und der schweißnass war und offenbar bereit, ihn aus dem Bett heraus direkt anzuspringen…fluchtartig rannte er aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Heftig atmete Zwerg. Sein Puls war noch auf 180, so dass er glaubte, sein über 300 Jahre altes Herz würde jeden Moment zerplatzen. Mir wirren Blick sah er sich um: ein gemietetes Zimmer in einem Gasthaus, gut zwei Tagesmärsche von Ventria entfernt, von wo aus er nach Siebenwind segeln würde. Er tastete nach dem Nachttisch. Dort lagen seine eisernen Zahnschienen, die ihm ein Feinwerker angefertigt hatte. Rasch setzte er sie ein. Das Gefühl, wieder Zähne im Mund zu haben, verdrängte die böse Erinnerung des Traums und der Schmerz ebbte ab.
Wie kam er nur auf die Idee, nochmal los ziehen zu wollen, in neue Schlachten, neue Kämpfe. Er hatte doch eigentlich genug davon gesehen. Könnte sich nun durchaus einen wohlverdienten Lebensabend in Ruhe und mit Met im Schaukelstuhl gönnen und seine Axt über den Kamin hängen. Doch er wußte genau, was ihn antrieb. Er vermisste diese Ruhe, die er eigentlich nur im Kampf fand; er vermisste die Herausforderung, die ein Übungskampf in der Wache nicht bieten kann; und er vermisste die Perfektion der Kampfkunst, die für ihn die höchste aller Künste war. Noch war er zu jung um in den Ruhestand zu treten: schwer gezeichnet von den Kämpfen zwar und mit Sicherheit nicht mehr so schnell wie seine jüngeren Brüder, aber immer noch im Besten Alter. Oh ja, er würde nach Siebenwind segeln und dort beweisen, dass er noch keinesfalls zum alten Eisen gehörte. Jedenfalls noch nicht zum rostigen!
2.
Mit bleichem Gesicht hing der Zwerg über der Reling; oder besser: sein Kopf steckte dazwischen. Die Reling des Schiffes war zu hoch für ihn und so schob er seinen Kopf zwischen die hölzernen Stäbe der Schiffsbrüstung. In Schüben entleerte er Magen und Galle, bis wirklich nichts mehr da war, was er hochwürgen konnte. Sein langer, grauer Bart war mit gelblichen Flecken von Erbrochenem gesprenkelt und mit kleinen Bröckchen bestückt. Ihm war hundeelend.
Die Seeleute ring um ihn herum lachten ihn aus. Sie hatten auch alle Zeit dazu, schließlich gab es keinen Sturm, der sie zur Arbeit angetrieben hätte. Nur eine stetige Briese wehte, ideales Segelwetter eigentlich.
„Wann hat etwas auf dieser Welt nur je so geschaukelt wie dieses verfluchte hölzerne, von unzuverlässigen Menschen gebaute Ding auf diesem verfluchten endlosen Wasser, das so tief ist, dass man den Boden nicht sehen kann. Gibt es darunter überhaupt noch Erde oder ist es endloses Wasser? Wenn ich hier über Bord gehen, vielleicht falle ich dann endlos, für alle Zeit im Wasser und kann nie wieder festen Boden berühren…“diese Gedanken gingen ihm zusammen mit dem Erbrochenen durch den Kopf.
Oh je, wie das schaukelte. Langsam setzte er einen Schritt vor den anderen. Links und rechts vom Halteseil fielen die Felswände mehrere hundert Schritt in die Tiefe. Er richtete den Blick stur nach vorne, ans Ende der langen Hängebrücke, welche die irrsinnig tiefe Schlucht überspannte. Die Tiefe an sich machte ihn gar nicht so nervös. Er war ein Bergzwerg, gewohnt an schroffe Hänge die steil hinab fielen, wo jeder Sturz tödlich sein könnte. Aber das Schaukeln, dieses Schaukeln. Nur in Vierergruppen wurden die schwer gerüsteten Zwerge über die lange Hängebrücke gelassen. Dennoch wankte sie bei jedem Schritt nach links und recht.
„***“ war Teil eines Trupps, der nach Barzak’dhan geschickt wurde. Seid sieben Monden hatte man keine Nachricht mehr von dort erhalten. Auf Grund seiner unzugänglichen Lage war der Kontakt nie sehr rege, aber Späher hatten Spuren von marschierenden Orks in diesem Gebirgszug, tief in den Drachenschwingen, entdeckt: Tierkadaver, Unrat, Müll. Und verletzte Orks, welche die Gruppe nur aufgehalten hätten und daher hilflos zurück gelassen wurden. Nach beharrlichem Einsatz von glühendem Metall auf ihren bis dahin unversehrten Körperstellen hatten sie das Ziel ihres Raubzugs preisgegeben: Barzak’dhan. Doch sie kannten nicht die wenigen, schwer passierbaren Wege durch das Hochgebirge. Und so eilte der 200 Bärte starke Trupp über schmale Pfade, in der Hoffnung, noch vor den Orks in der Binge einzutreffen und bei der Verteidigung zu helfen.
Als er das andere Ende der Brücke erreicht hatte, da atmete er tief durch und strich sich durch seinen damals noch kräftig-braunen Bart. Nach zwei Tagen Marsch unter widrigen Bedingungen erreichten sie Barzak’dhan. Die schweren Tore standen offen, und eine dünne Rauchfahne schlängelte sich aus dem dunklen Schlund in den Himmel empor…
Als das Würgen endlich ein Ende nahm, zog er seinen Kopf wieder zurück. Mit zittriger Hand schob er sich die beiden Eisenschienen in den zahnlosen Mund zurück. Er hätte sie beinahe beim Kotzen verloren. Da saß er nun: seekrank, zerzaust, mit Erbrochenem besudelt. Rings um ihn die lachenden Matrosen.
Wie erniedrigend, für diesen alten Haudegen. Welchen Gefahren hatte er nicht getrotzt in seinem langen Leben. Diese Menschen, sie würden doch vor Schreck tot umfallen hätten sie den Dingen ins Auge geblickt, die er schon gemeistert hatte. Doch nun war er es, der hundeelend vor ihnen kniete. Doch sein abgehärtetes Herz verbot ihm aufzugeben. Rasch zog er sich an der Reling hoch und kaum das er stand, ließ er sie schon los. Zittrig stand er da, aber aufrecht und ohne weiteren Halt. Einer der Matrosen kam auf ihn zu. In seiner fremden Sprache sagte er irgendwas unverständliches, aber es klang aufmunternd. Dann ein kurzer Klaps auf die Schulter: ein in allen Sprachen verständliches Wort. So schaffte er es doch, wenigstens ein wenig Achtung wieder zu erlangen. Er hoffte nur, dass es kein Mitleid war.
3.
Der Regen prasselte ohne Unterlass auf seinen eisernen Nasenhelm. Mit einem mürrischen Grummeln zog er die Schultern hoch und zog den roten Umhang noch enger um den Hals. Auf den roten Umhang waren die Zeichen der „Bragarim“, der Zwergenwache gestickt…und dazu das Rangzeichen eines Rogals, eines Anwärters der Wache also. Er kannte das Zeichen, hatte es zuletzt vor gut 200 Jahren selbst getragen. Eigentlich trug er die Uniform eines Bra’gars, also eines vollständigen Mitglieds der Zwergenwache. Doch das war daheim. Auf seine alten Tage hin musste er sich hier nochmal erneut beweisen.
Die Wacht war ruhig und ereignislos. So verfing sich sein gelangweilter Blick in dem Rot des Umhangs. Er war dunkler geworden durch all die Nässe und schwerer zugleich…wie er den Umhang so hielt drangen alte Erinnerungen an die Oberfläche…
Vor seinem Auge wurde der Umhang immer dunkler, bis da leuchtende Rot einem verdreckten, verschmutzten braun-rot gewichen war. Der Umhang war klamm vor Feuchtigkeit und Kälte. Seit 5 Tagen harrten sie nun in dieser Höhle aus, *** und 20 seiner Kameraden. Seit einem Mond schon regnete es scheinbar ohne Unterlass. Von der erhöht gelegenen Felshöhle aus konnten sie auf die Siedlung im Tal blicken, die sich an den gegenüber liegenden Felshang schmiegte. Es war eine Talzwergensiedlung. Doch zwischen ihnen und der Siedlung befand sich ein kleines Heerlager der Orken. Rings um die Zelte und die primitiven Palisaden hatten sie Standarten mit zerfetzten Fahnen und Totenschädeln aufgestellt.
Was war geschehen?
Eigentlich sollte es ein gewöhnlicher Warentransport werden. 20 Händler mit ihren kleinen Karren, begleitet von 15 Bragara, darunter auch ***. Sie transportierten alle Arten von Schmiedeerzeugnissen, die sie bei ihren Brüdern gegen Mehl, Met, Gewürz, Leder, Felle, und Fleisch eintauschen wollten. Doch lag die Talzwergensiedlung unter Belagerung der Orks, die ebenfalls auf die Waren der Arphet’Dwarschim scharf waren. Ihre Späher mussten die kleine Karawane entdeckt haben, denn sie stellten ihnen einen Hinterhalt. In einer Schlucht am Eingang zum Talkessel hatten sie ihnen mit einer Übermacht aufgelauert. Nur unter Verlusten und dem Zurücklassen ihrer beladenen Karren konnten sie sich auf die Berghänge flüchten und in einer Höhle verschanzen. Der Angriff schien den Orks zu riskant, vielleicht waren sie auch diesmal chlauer als erwartet: Das Grüppchen hatte kaum Lebensmittel dabei, alles war auf den Karren zurückgelassen worden. Und sie waren zu wenige, um sich zu den Talzwergen durchzukämpfen. Sie saßen wie Mäuse in der Falle und die Orks hocken wie eine wachsame Spinne in der Mitte ihres Netzes, geduldig und listig.
*** saß am Eingang der Höhle. Hier wurde er zwar nass und musste stets wachsam sein, aber im Inneren der Höhle wurde der Gestank der Exkremente langsam unerträglich. Außerdem stöhnte dort ein schwer verletzter Händler ohne Unterlass, und das zehrte langsam an seinen Nerven. Und so starrte er durch den trüben Regenschleier ins Tal hinab. Plötzlich erkannte er eine Bewegung am Dorf im Tal. Vage konnte er erkennen, wie sich die hölzernen Tore öffneten und Zwerge hinaus stürmten. „Diese Narren! Sie sind nicht stark genug für einen Ausfall!“ dachte er sich noch, dann dann nahmen seine Augen ein leichtes Funkeln war. Ein aus der Distanz kaum wahrnehmbarer Schimmer, ein bläulicher Glanz.
Eine Gruppe von nicht mehr als höchstens 15 Zwergen stürmte aus den Toren, in einer Keilformation. Von ihnen ging der bläuliche Schimmer aus und sie schienen etwas größer als die Talzwergenkrieger, die hinter ihnen ausbrachen und Schwierigkeiten hatten, mit deren Tempo mitzuhalten. Urplötzlich zerriss der Klang eines machtvoll geblasenen Wachhorns das monotone Rauschen und Prasseln des Regens. Das Tempo er 15 vorstoßenden Krieger überraschte die Orken. Wie ein Tornado stießen sie in das Lager der Orks vor und hinterließen dort wo sie liefen eine Schneise der Verwüstung. Unter ihren Axt- und Hammerschlägen fielen die Orks wie die Fliegen. Die gleichen Orks, die zuvor noch ihn selbst besiegt hatten. Die Geschwindigkeit der ungewöhnlichen Krieger nahm nicht ab, mit unverminderter Gewalt kämpften sie sich vorwärts. Den Talzwergen dahinter blieb fast nur, den verwundet am Boden liegenden Orks den Rest zu geben. Kaum, dass die kleine Gruppe quer durch das Lager gerast war, schwenkten sie zur Seite ab und verließen im Laufschritt das Tal und verschwanden schnell im trüben Regen. Die Wache neben *** in der Höhle, die das Schauspiel bestaunte, gab nur ein ehrfürchtig gemurmeltes Wort von sich: „Kudahar“
Die Orks jedoch schienen völlig überrumpelt, ihr Kampfesmut geschwächt. Im Lager entbrannte nun der Kampf zwischen den restlichen Orks und der Talzwergenwache. Da stieß nun auch *** in sein Horn, und mit den verbliebenen Kriegern stürmte er ins Tal hinunter um mit vereinten Kräften dem Feind des Garaus zu machen.
Langsam verschwand die Erinnerung und er merkte, wie er immer noch auf seinen roten Umhang starrte, nun wieder sauber und in leuchtenden Farben. Tjaja, ein denkwürdiger Tag war das gewesen. Und doch hatte keiner der Zeugen von damals je viel darüber gesprochen. Es war, als wüssten sie alle, dass es ein Geheimnis zu bewahren galt. Sie hatten erkannt, dass der Überraschungsmoment wohl die stärkste Waffe dieser merkwürdigen Kampftruppe gewesen war. Und das sollte so bleiben, und nie würde er einem Fremden davon berichten.
Durch das Auftauchen eines weiteren Zwergen in Uniform wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Hastig drückte er sich von der Wand ab und nahm Haltung an: „Arkadon zum Gruße, Drak’tar!“
4.
Dort, hinter der Biegung des zerklüfteten Gebirgswegs konnte er den Goblin erkennen. Er hatte ihm den Rücken zugedreht. Er griff seine schwere beidhändige Axt fest mit den schwieligen Händen, die in den Panzerhandschuhen steckten.
Er kannte die Situation nur zu gut aus den heimatlichen Schluchten der Drachenschwingen. Hier auf der Insel war er weit von zu Hause weg, aber es müsste doch alles so laufen wie daheim…vor weit mehr als einem Menschenleben
Der kleine Zwergentrupp drückte sich an die Felswand. *** spähte um die Ecke, wo 5 Goblins standen. Die restlichen 3 Zwerge, fest an den Fels geschmiegt, warteten auf seine Zeichen. *** zögerte noch. Vor zwei Tagen hatten sie ihren Ausbilder verloren. 4 Anwärter gegen fünf Goblins…doch, das müsste trotzdem reichen. Sie waren zwar noch nicht vollständig ausgebildet aber dennoch allesamt kräftige und tapfere Dwarschim. Sie hatten sich nach dem Tod ihres Ausbilders ohne Probleme durchgeschlagen…und nur diese 5 Goblins standen zwischen ihnen und dem Pass zur Heimatbinge. Aber er als ältester unter ihnen würde die Verantwortung tragen: für Erfolg wie auch für den Fall seiner Kameraden. *** holte tief Luft, dann stieß er den Arm vor.
Auf sein Zeichen drückten sich seine Kameraden von der Wand ab und unter lautem Scheppern und Getöse stürmten sie auf die Goblins zu. Der erste Schädel war gespalten noch bevor die Goblins wussten, welches Unwetter da über sie hereinbrach. *** schwang seine Axt, im Augenwinkel sah er, wie sein Bruder mit dem Hammer einen Goblin gegen die Felswand schmetterte. Er spürte Spritzer von warmem Blut auf seinen Wangen…nicht sein eigenes.
Im Handstreich hatten sie ohne Verluste die Goblins überwältigt. Jaarrr, sie waren jung und stark…Und bei ihrer Heimkehr würde es nun bis zur Beförderung sicher nicht mehr lange dauern.
Er spürte das Gewicht der Axt, er merkte auch, wie seine Arme schon leicht zitterten. Es war nicht der erste Goblin am heutigen Tag und die noch frischen Kämpfe steckten ihm in den alternden Knochen…Er hätte auf diese Zeichen achten müssen, hätte die Warnungen seines nicht mehr jungen Körpers hören müssen!
Doch die Erinnerung an den siegreichen Kampf euphorisierte ihn. Er spürte sein Herz schneller schlagen, das Kribbeln in den Gliedern und das Pochen im Hinterkopf: die Euphorie vor dem Kampf, genau dieses Gefühl das in dazu trieb immer weiter zu kämpfen solange seine Beine ihn tragen würden…
Dummkopf, du törichter Narr! Du bist nicht mehr jung, aber bist leichtsinniger als jeder Jungbart. Alter Narr! ..war das letzte das ihm durch den Kopf schoss, bevor er schwer getroffen mit seinem massigen Körper auf den felsigen Boden aufschlug. Der eine Goblin, der ihn niedergestreckt hatte wankte bedrohlich, Blut floss aus mehreren Wunden hervor. Der Goblin taumelte noch mehrere Schritt, dann fiel ihm das rostige Schwert aus der Hand, dann fiel der Goblin selbst. Aber das würde *** erst in einem halben Zyklus sehen können, wenn er wieder zu sich käme.
5.
Der Zwerg in seinem Alter zwischen 100 und 200 Jahren stemmte den rechten Fuß auf den Körper des dicken Ogers, der vor ihm im Staub lag. Mit einem Ruck zog er seine Axt aus dem Leib des Ogers. Durch die offene Wunde wölbte sich der Bauch und das Gedärm quoll hervor. Wie fette Maden oder dicke Schlangen hing es aus dem Fleisch heraus und verbreitete in sekundenschnelle einen bestialischen Gestank. Über dem Gemetzel stand der braunhaarige Zwerg und lächelte triumphierend, sein gesundes Gebiss schien hinter den spröden Lippen hervor.
Über den Kopf des Zwergen, mittlerweile gute 300 Jahre alt, saust die schwere Axt hinweg und trifft den Oger mitten ins Kreuz am Rücken. Bei seinem wütenden Aufschrei sieht man die eisernen Zahnschienen in seinem Mund. Das spritzende Blut bildet ein interessantes Muster auf seiner weißen Uniform-Tunika. Mit einem verschluckten Schrei fällt der Oger wie ein nasser Sack nach vorne und begräbt fast einen Nortraven unter sich. Der Bergzwerg zieht seine Axt mit einem Ruck aus dem Rücken des Ogers. Ein kurzes respektvolles Nicken zum Nortraven, dann wendet er sich mit suchendem Blick herum…suchen seine zwergischen Mitstreiter zwischen den hühenhaften Nortraven und den gewaltigen Ogern am Strand.
„Wie in alten Tagen, ganz wie in alten Tagen…!“ ruft er beinahe feierlich heraus. Und trotz der von Anstrengung gezeichneten Gesichtszüge erkennt man an den Fältchen am Auge eine überschäumende Freude am Gemetzel.
6.
Warnender Hinweis: Gewaltdarstellung
Über einen Tisch im Wachhaus der Zwerge in Kesselklamm gebeugt dachte der Zwerg über das grade erst Geschehene nach:
Wie er auf die Verkäuferin in der Taverne in Falkensee hinter dem Tresen zugestürmt war…wie er die Antworten bekommen hatte, die er suchte…aber irgendwie doch nicht zu Genüge…wie er sich eigentlich Sicherheit verschaffen wollte, dass die Frau ihn nicht anlog. In der Küche wärde alles da gewesen: siedendes Wasser, offenes Feuer, scharfe Messer.
Und dabei musste er an eine andere Begebenheit aus der fernen Vergangenheit denken:
Der Ork schrie laut auf. Sein Trupp hatte ihn zurück gelassen, weil er am Knöchel verletzt war und nicht mit den anderen Schritt halten konnte. Jetzt hatten sie ihn gefasst, und sie würden schon aus ihm rauskriegen, wohin seine stinkenden Gefährten unterwegs waren.
Wieder schrie der Ork laut auf. Zzzzssscchhhhh. *** drehte den Kopf zur Seite weg, aber gegen den Geruch von verbranntem Fleisch half Wegsehen auch nicht. Betreten standen die Zwergenkrieger im Kreis um ihr Opfer herum, bis auf jene zwei, die den Ork folterten. Der süßlich-rauchige Geruch des verbrannten Fleisches bereitete *** Übelkeit. Dann wurde das glühende Eisen zur Seite gelegt. Stattdessen rissen sie ihm nun mit einer Zange die klauenartigen Nägel aus dem Pranken heraus. Wild zuckte der Ork hin und her, aber er war festgebunden. Sein verzweifeltes Brüllen schallte durch das ganze Tal. Die Zwerge drumrum schwiegen beklommen. Als ihm schließlich drei Finger abgehackt waren, da ging das Schreien in ein Wimmern über. *** wollte es nicht hören. Das klang wie ein unschuldiger Hundewelpe. Bei Bellum, er hatte schon Blutvergießen und Kämpfe gesehen, Tote mit schrecklichen Wunden. Doch das hier war auch für ihn beinahe zu viel. Er musste sich beherrschen, sich nicht zu übergeben. Verzweifelt redete er sich ein, es sei nur ein Ork. Dass das Leben der unschuldigen Zwerge in den Bingen der Gegend davon abhing, dass sie das Ziel der Orkplünderung aus ihm rausfoltern können.
„Nichts weiter als ein räudiger Köter, sonst nichts. Er verdient kein Mitleid“ sprach er zu sich selbst. Doch die harten und zugleich erschrockenen Mienen seiner Kamerdaen zeigte ihm, dass auch sie verabscheuten, was getan wurde…getan werden musste?
Beim nächsten Aufschrei, wieder begleitet vom Zischen des glühenden Eisens auf der Haut, musste er Erbrochenes runterschlucken, um sich nicht zu übergeben.
„Barzak’dhan, Barzak’dhan“ wimmerte der Ork schließlich leise. Dann wiederholte er es in einem fort, wohl in der Hoffnung, nun erlöst zu werden. Nicht die Freiheit, ein gezielter Axthieb in den Nacken sollte ihm schließlich die Erlösung bringen.
Mit einem Schaudern schreckte er aus der Erinnerung hoch. Glaubte er wirklich, er wäre dazu in der Lage? Und noch mehr erschrak er, als er die bittere Wahrheit wie ein schmerzhaftes Stechen hinter der Stirn spürte. Und es wahr ihm, als habe er einen metallischen Geschmack im Mund. Viele Steine waren seit damals den Berg herabgerollt. Und die Erfahrungen eines harten Lebens verändern einen Bart. Zum Guten, wie zum Schlechten.
„Zum Glück“ mochte er fast denken, „Zum Glück kam dieser elende Mann in die Taverne.“ Nach dessen Auftauchen hatte er direkt von der Frau abgelassen. Mehr als einen harmlosen Schubser und eine zerbrochene Flasche hatte die Frau an diesem Abend nicht erleben müssen.
7.
„Zusammenbleiben, bleibt zusammen!“ rief der Hauptmann des kleinen Zwergengrüppchens aus. Sie hatten grade einen ganzen Haufen Goblins zurückgedrängt, die in großer Überzahl über die hergefallen waren. Doch durch Diszilpin und entschlossenen Kampf hatten sie den Angriff abgewehrt und die demoralisierten Goblins flohen nun planlos und verstreut in alle Richtungen davon. „Zusammenbleiben!“ klang der Ruf des Grag’tors erneut, diesmal noch eindringlicher. Dennoch setze einer der Zwerge, ein Anwärter der Wache noch und mit unter 66 Jahren im Maßstab der Menschen erst an der Schwelle zum Erwachsensein, einem der Goblins nach und brach aus der Formation aus. Mit erhobenem Hammer stürmte er hinter dem Goblin her und brach ihm mit einem Hammerschlag in den Rücken die Wirbelsäule. Mit einem stolzen Ausdruck im Gesicht kehrte der Rogal zu seiner Gruppe zurück. „Du elender milchbärtiger, spitzohriger Sohn eines räudigen Hundes!“ knurrte der Hauptmann ihn an. Und bevor er wusste was ihm geschah, da landete die behandschuhte Faust des Hauptmanns in seinem Gesicht. Benommen taumelte der Anwärter zurück und der Hauptmann prügelte weiter auf ihn ein. Der junge Zwerg hatte keine Chance sich gegen den kräftigen Hauptmann zu wehren. Mit einer Wut die keiner der Zwerge erwartet hatte, auch *** nicht, schlug der Grag’Tor immer wieder auf den hilflosen Rogal ein. Schließlich mussten sie ihn zu dritt packen und vom jungen Zwerg wegzerren, der noch minutenlang halb bewusstlos auf dem Boden liegen blieb.
Dieser Vorfall kam dem Zwerg mit dem Eisengebiss wieder in den Sinn. Gute 150 Jahre war das nun her, und doch konnte er sich an jede Einzelheit erinnern. Der Vorfall war bemerkenswert: hatte doch nicht nur ein Zwerg einen anderen geschlagen, nein: er hatte ihn windelweich geprügelt als der Unterlegene sich nicht mehr wehren konnte. Das verstieß gegen jede Sitte, gegen alle Traditionen von Anstand und Ehre.
Und doch hat keiner diesen Vorfall beim Heerführer gemeldet. Nicht mal der übermütige Rogal, der mit zwei Zähnen, einer gebrochenen Nase, zu geschwollenen Augen und einer Gehirnerschütterung übel zugerichtet worden war.
Denn er hatte einen Befehl seines Vorgesetzen missachtet im Eifer des Gefechts, hatte sich von seiner Kampfeslust packen lassen und dabei das Wohl der anderen Zwerge vernachlässigt. Zwerge kämpften fast immer in Unterzahl, und diesen Nachteil mussten sie durch Zusammenhalt und Disziplin wieder ausgleichen.
*** überlegte, was den Grag’tor nur dazu gebracht hatte, so hart und grade zu unehrenhaft vorzugehen. Und da leuchtete ihm ein, welche Bedeutung die ständige, ewige Wiederholung der Tugenden von Treue, Gehorsam und vor allem Ehre hatte: In vielen Dwarschim, erst recht den Kriegern der Bergzwerge, brennt das Feuer Arkadons in den Adern Wie glühende Lava strömt es heiß durch den Körper eines Zwergen, eine Spur ihrer ursprünglichen Schöpfung durch Arkadon, bevor Terra ihren Lebenshauch in die Dwarschim setzte und das flüssige Eisen in ihren Körpern zu Blut verwandelte, und bevor Bellum ihnen Tugenden einflößte, die ihren Heißsporn zügeln sollten. Wenn ein Dwarschim in solchen Situationen voller Anspannung war, dann pochte das Blut heißer den je und die Flamme Arkadons konnte nur zu leicht zum Ausbruch geraten. Und deshalb war es so wichtig, das Gerede von Ehre, immer und immer wieder…damit es so unüberwindbar im Gedächtnis fest saß, um das Feuer kontrollieren zu können. In dieser Situation war das Blut des Grag’Tors übergekocht.
*** hatte es oft am eigenen Leib gespürt. Dieses Feuer, einhergehend mit dem Gefühl wilder und roher Stärke war auch der Grund, warum er selbst mit seinen über 300 Jahren noch zur Axt griff. Er war süchtig nach Arkadons Flamme, und zugleich erkannte er, wie überaus wichtig es war sie im Zaum zu halten.
Plötzlich spürte der Bra’gar eine Last auf seinen Schultern. Ein Jungbart kann solche Dinge noch nicht wissen, bevor nicht der Schrecken des Krieges diese Dinge für ihn ans Tageslicht befördern würde. Daher war es an älteren Bärten wie dem seinen, ihnen ein Vorbild zu sein. Ihnen zu helfen Arkadons Feuer zu bändigen. Und ihnen gebetsmühlenartig von Ehre und Disziplin zu erzählen, bis es ihnen aus den Ohren raus quoll.
8.
Zwei Tage und zwei Nächte hatte er nun schon gemeinsam mit dem anderen Bergzwerg, der nicht wie er die Uniform der Talwache trug, in Kesselklamm Wache gestanden. Wie steinerne Statuen hatten die zwei vor dem Haus des „Dharkep“, dem „Ratshaus“ ausgeharrt, um es gegen die Sammler zu bewachen.
Zuvor schon hatte er nicht schlafen können. Die vielleicht schrecklichsten Albträume seines Lebens hatten ihn gequält und aus Sorge um seinen Verstand hatte er sich krampfhaft wach gehalten…und nun das: ereignisloses Wachestehen. Ab und zu war mal jemand vorbei gekommen, hatte ein paar Worte mit ihnen gewechselt, aber die Eintönigkeit lastete drückend und immer schwerer auf seinen Augenlidern. Die geröteten Augen brannten als die über den Berghängen untergehende Fela ihn blendete und bei Dunkelheit wurde es noch schwerer, wach zu bleiben. Und schließlich, wie er so ins Leere vor sich her starrte, fielen die Augen schließlich zu…
Vor seinem Auge breitete sich eine grenzenlose Landschaft aus. So weit der Blick reichte war es fast das gleiche Bild. Schroffe Berghänge, schneebedeckte Spitzen hoher Gebirge, zackige und scharfe Kanten überall. Das triste Grau des nackten Steins wurde nur von ebenso einfarbigen Schneekleksen und einigen grau-grünen Moosen und Flechten unterbrochen. Weit unten, im Nebel tief unter ihm, da wuchsen einige knorrige Nadelbäumchen quer zu den Felswänden, ihre Wurzeln irgendwie in den Lebensfeindlichen Fels gekrallt.
Er drehte sich um, ließ den Blick schweifen: überall das selbe Bild des Hochgebirges in den Drachenschwingen, dem größten zusammenhängenden Gebirges Falandriens. In der Ferne konnte er die Spitze des Weltenberges in der klaren Luft ausmachen, welche die eintönige Ödnis überragte.
Diese karge Landschaft war ebenso lebensfeindlich wie die sengend heißen Wüsten Endophals. Und doch wirkte diese leere Ödnis nicht bedrückend für ihn. Denn dies war seine Heimat. Tief unter ihm in diesen Bergen lag der Ursprung seines Volkes, in diesem Gebirsmassiv hatten sie sich das erste Mal aus dem harten Fels gebuddelt und das Licht Felas auf ihren Gesichtern gespürt. Und mochte es hier auch eintönig wirken, so gab es immerhin nichts Fremdes. Hier fühlte er sich geborgen und sicher, ungeachtet der Gefahren die in den Bergen lauerten.
Er nahm noch einen tiefen Atemzug in der dünnen Luft, dann stieg er den schmalen Pfad hinab, bis sich unvermittelt und kaum zu erkennen die eisernen Tore einer Binge aus dem Fels schälen, die er betrat. Und das Dunkel der unbeleuchteten Stollen übermannte ihn
…und ließ ihn traumlos weiterschlafen. Ein Segen nach den Albträumen der vergangenen Nächte. Und endlich konnte er sich wieder ein wenig erholen, während sein „Bruder“ neben ihm weiter Wache hielt.
9.
In grade diesem Moment kam es ihm so vor, als sollte dies der härteste Kampf seines Lebens werden: so, jetzt mal ganz langsam…erst das rechte Bein, dann das linke Bein…so, langsam den Oberkörper anheben, Augen öffnen…
…sein Körper rebellierte schon bei dieser kleinen Anstrengung, als er behutsam aus dem Bett steigen wollte. Und so blieb ihm nichts anderes, als hastig nach dem Eimer zu greifen und sich drüber zu beugen, grade rechtzeitig bevor er sich erbrach. Er war körperlich unversehrt, und doch fühlte er sich wie ein geprügelter Hund, sein Schädel dröhnte als wäre eben eine Ogerkeule auf seinen Kopf niedergedonnert. Jedoch war sein Feind nur der Alkohol gewesen, der einzig „übernatürliche“ Gegner der Weingeist. Er hatte bei der großartigen Doppelhochzeit aber auch alles getan, um sich amtlich abzuschießen. Einen Schnaps nach dem anderen, und immer einen zwischen dem Met und Bier, richtig schön durcheinander. Er hoffte nur inständig, dass der Elf Lorien gelogen hatte: dass Elfen sehr wohl betrunken werden können. Die Vorstellung, dass dieses Spitzohr keinerlei Auswirkung von ihrem gemeinsamen Gezeche bei der Feier spüren würde war ihm in seinem Zustand unerträglich.
Nachdem er seinen gesamten Mageninhalt und alles an Gallenflüssigkeit in mehreren Schüben ausgespuckt hatte, ging es ihm erst mal wieder besser. Angewidert fischte er die beiden eisernen Zahnschienen aus dem vollgekotzten Eimer, die aus seinem nun „nackten“ Mund gefallen waren. Bei Terra, wann war es ihm nach dem Saufen zuletzt so übel gewesen? Er erinnerte sich…
Es war auch bei einer Hochzeit gewesen, wie immer nur eine Fremde. Aber er war auch noch jung gewesen, 56 Jahre erst. In dem Alter heiratet zwerg sowieso noch nicht, und auch Thorgat mochte noch keinen Gedanken daran verschwenden. Während des Festes ging es hoch her: Alle waren sie gekommen, ein jeder der nur jemanden kannte, der wiederum jemanden kannte, der um 3 Ecken herum mit der Familie des Paares verwandt war. So war es Brauch bei den Dwarschim. Eine Hochzeit ist die größte Feier des Lebens, denn immerhin verbinden sich da zwei Seelen zu einem Ganzen, das niemals wieder ohne großen Verlust getrennt werden kann. Und was hatten sie nicht alles angekarrt für dieses Fest: Die Fässer stapelten sich bis hoch unter die Bingendecken, die Stollen bis in den letzten Winkel voll mit Fressalien. Die Talzwerge, die angereist waren, mussten wirklich alles Vieh geschlachtet haben, das sie nur irgendwie noch mit sich tragen konnten.
Der Höhepunkt des Spaßes war für gewöhnlich aber folgendes Spiel: Eine Schar unverheirateter Zwergenmänner stellte sich an ein Ende einer langen Bahn. Sie griffen jeder das Ende eines langen Seils. Alle Seile lagen kreuz und quer und ineinander verwunden über die Bahn geschlängelt, sodass es unmöglich war vorauszusagen, wo welches Seil nun enden würde. Und an eben jenem Ende eines jeden Seils wartete eine Überraschung auf den Spieler. Als Hauptgewinn galt natürlich eine dralle und ebenfalls ledige Zwergendame. Nicht selten hatte dieses Spiel schon zukünftige Ehepaare zusammengeführt. Sehr beliebt waren aber auch Fässer voll Met, mit denen man sich wunderbar darüber hinwegtrösten konnte, dass man eben nicht die üppige Jolanda Herdfeuer mit ihren langen roten Doppelzöpfen, dem prall gefüllten Mieder, den ach so herrlich stämmigen Schenkeln und dem niedlichen runden Bäuchlein am Ende des Seils auf sich warten hatte. Auch Thorgat durfte nicht den Abend mit Jolanda verbringen, leider auch nicht mit einem heiß geliebten Metfass…an seinem Seilende stand nur ein abgetragener Stiefel, noch nutzloser als der Holzlöffel, den sein Vetter Isgrimm nun in der Hand hielt. Damit hätte er immerhin allen grölenden Zwergen was auf die Mütze geben können, die ihn nun den Rest des Abends munter verhöhnten, wenn Thorgat mit seinem ollen Stiefel an ihrem Tisch auftauchte. Denn er musste mit diesem Stiefel den Rest des abends verbringen und sich nicht von ihm trennen, so lautete die Spielregel. Und so klang es „He du Stinkstiefel“ von links und „Was stinkt denn hier so? Ach, das ist nur Thorgat oder sein Stiefel, schwer zu sagen welches“ von rechts.
Was also blieb ihm da schon anderes übrig als sich auf das herzlichste zu besaufen. Und zwar so ordentlich, dass auch ein gestandener Bra’gar, der er ja erst noch werden sollte, das Trinkvermögen des jungen Thorgat staunend anzuerkennen hatte.
Er beschloss, seine Beine schleunigst wieder ins Bett zurück zu holen. Nur noch ein bißchen schlafen, bis der gröbste Kater ausgestanden ist. „Aber so im Nachhinein war diese Hochzeit damals doch wirklich lustig, sogar das mit dem blöden Stiefel. Außerdem hat Jolanda sich eh nicht gut weiterentwickelt. Sie wurde Jägerin und hat bei all dem Laufen schrecklich abgenommen, furchtbar!“ murmelte er noch zu sich.
Die Hochzeit gestern hatte sein Gemüt so heiter gestimmt, dass er erstmals seit langem nicht an all die Schlachten, das Blut, den Gestank des Todes und auch die Angst dachte, die sein Leben ständig begleitet hatten und auch auf dieser Insel begleiteten, sondern an etwas Schönes aus seiner Vergangenheit. Auch die hämmernden Kopfschmerzen konnten nicht verhindern, dass er mit einem Lächeln auf den Lippen weiter schlief.
10.
Einen Zyklus nach dem Kampf bog der damals noch junge Thorgat um die Wegbiegung, um dort erst mal seine Gedanken sammeln zu können. Dort sah er auf einem Felsvorsprung jedoch seinen Hauptmann sitzen. Der Grag’tor hatte ihn noch nicht bemerkt. Thorgat sah ihn sich genauer an:
Sie hatten schon immer gerätselt, wie alt er wohl wirklich war. Seinem Gesicht und dem Bart nach zu urteilen muss er mindestens im letzten viertel seines Lebens stehen, vermutlich ging er glatt auf die 350 zu. Das war an sich schon ein stolzes Alter für einen Krieger, der immer noch vorne mitmischte. Aber jetzt sah sein Hauptmann für ihn aus wie der älteste Dwarschim den er je gesehen hatte: das Gesicht von Falten zerfurcht wie eine Vulkanlandschaft. Das Haar strahlend weiß (wenn man von Blut und Schmutz der Schlacht absah) und auf dem Haupt nur noch als Haarkranz vorhanden. Der massige Körper in sich zusammen gesunken…keine stolze Eiche, vielmehr eine Trauerweide. Er sah wie die Hände des alten Grag’tor zitterten. Er konnte nur erahnen, wie schwer sein Alter nach so einem Kampf an seinem Körper zehrte.
So schwach hatte er ihn noch nie wahrgenommen. Seinen Untergebenen gegenüber wirkte er stets kräftig und vital und keiner konnte einen jungen Rogal so zusammenfalten wie er. Wenn er brüllte klang es wie 100 Wachhörner die zugleich geblasen wurden. Doch so wie er jetzt da saß, mochte man sich höchstens aus Mitleid vor ihm erschrecken.
An dieses Bild musste Thorgat nach seinem Gespräch mit der Zwergin denken, die eine Dienerin Bellums war und noch älter an Jahren als er selbst mit seinen 313 Wintern. Er hatte sich mit ihr darüber unterhalten, wie die jungen Dwarschim Vorbilder und Symbole brauchen, zu denen sie aufsehen und an denen sie sich aufrichten können. Strahlende Vorbilder, die durch ihre Kraft keinen Zweifel an ihrer Autorität und Stellung ließen. Damit hatte er eigentlich auf die Geweihte Bellums gezielt, die ihm an diesem Abend trotz ihres scharfen Verstandes körperlich nicht gestählt genug erschien.
Doch zugleich merkte er, dass er sich bei dieser Rede an die eigene Nase fassen müsste. Sein eigenes Alter durfte keine Rolle spielen, erst recht nicht wo man ihm kürzlich erst eine unglaubliche Verantwortung sprichwörtlich in die Hände gelegt hatte: die Verantwortung eine Ahnenwaffe zu führen. Damit konnte er sich nicht verstecken. Und wenn ihm nach einem langen Tag auch alle Fasern seines Körpers brannten und eine bleierne Schwere in ins Bett zerren wollte: gegenüber den Jüngeren durfte er sich das nicht anmerken lassen. Kein übermäßiges Schnaufen, kein Keuchen, kein Jammern. Keine Schwäche zeigen…das ist schwer, wenn man sich tatsächlich immer häufiger mal schwach fühlt als früher.
Ob er diese Fassade wirklich aufrecht erhalten konnte? Wieder dachte er an seinen alten Hauptmann. Der war in der nächsten Schlacht gefallen. Voller Ehre und Würde. Und bis dahin hatte außer ihm selbst wohl auch nie einer seiner Kameraden den Grag’tor schwächeln gesehen. Es war also machbar, aber es waren große Fußstapfen die er auszufüllen hätte. Zum Glück war er nur Bra’gar, also eine gewöhnliche Wache. Die wahre Verantwortung trugen andere über ihm.
11.
Ha, endlich hatte er den fetten Orkjungen erwischt! Angefressen von Zorn und der Schmach über die vergangenen Niederlagen gegen die Orks war er ausgezogen in der blinden Hoffnung, einen einzelnen Ork zu erwischen. Und jetzt sah er tatsächlich den frechen Orksjungen, der unter dem Schutz der erwachsnen Orks an den Scharmüzeln teilnahm…nur war es Zeit für eine Lektion!
Er versperrte dem Orkkind den Weg in sein sicheres Lager. Er befahl ihm mit heiserer Stimme seine Axt wegzulegen. Nach nur kurzem Zögern und einem vergeblichen Ruf nach Hilfe gehorchte er dem kräftigeren und alten Zwergenkrieger. „Auf die Knie!“ gellte er den nächsten zornigen Befehl und dem Orkkind blieb nichts anderes als sich auf den Boden zu knien. Mit einem grimmigen Grinsen trat Thorgat hinter ihn. Und während das Orkkind auf allen Vieren Stück um Stück Richtung Orkfort kriechen wollte verpasste er ihm einen kräftigen Tritt in den Hintern. Bäuchlings und mit dem Gesicht landete er im Matsch. Jammernd und zeternd spuckte der Junge den Matsch aus dem Mund aus…und in Thorgat stieg ein dunkles Gefühl empor….
Vor ihm auf dem Boden lag ein Schwarzstachelgrond. Eben erst hatte der junge Thorgat mit seinem Spähtrupp von 4 Dwarschim eine Handvoll dieser Kreaturen erschlagen. Sie haben die Größe von Halblingen, mit einigen schwarzen Stacheln am Rückgrat entlang. Nicht stark, aber flink und verschlagen waren sie: eine Gefahr für unachtsame Wanderer und Händler, in großen Gruppen auch für erfahrene Krieger. Doch dieser Grond lebte noch, er reckte winselnd und kreischend die spitzen Hände empor, in zusammengekrümmter Haltung bettelte er um sein Leben. Unschlüssig blickte Thorgat noch auf ihn herab, da kam ein älterer Bra’gar im Alter von etwa 200 Jahren an seine Seite.
„Was zögerst du, Thorgat?“ raunzte er ihn an. „Er ist doch wehrlos, was soll ich mit ihm tun?“ entgegnete Thorgat unsicher. „Was denkst du denn, hä?!“ und bei diesen Worten hob der Bra’gar seinen großen Hammer an. „Er ist doch allein und wehrlos. Denk an die Tugenden Bellums!“ warf Thorgat noch ein. „Erklär der arglosen Schwester die beim Kräutersammeln im nächsten Mond rücklings von ihm umgebracht wird die Tugenden Bellums, du Kindskopf!“.
Und schon sauste der schwere Hammerkopf auf den wimmernden Grond nieder. Das Brechen und Krachen der Knochen dröhnte laut in seinem Ohr, und ein zweites Mal sauste der Hammer hinab und zerschlug den Kopf des Gronds zu blutigem Brei.
„Du wirst das noch verstehen, Thorgat. Du verstehst schon noch was notwendig ist“ sprach der Ältere mit abgehärteter Miene und schlug ihm kameradschaftlich gemeint mit der Faust an den Brustkorb. Eigentlich wollte er es nicht verstehen, irgendwas in ihm schrie dass es Unrecht war. Andererseits wissen die älteren Bärte immer besser was zu tun ist. Sie hatten Recht, immer.
Thorgat sah auf den vor ihm liegenden Orkjungen herab. Er unterdrückte den Drang seine Axt in blinder Wut zu erheben obschon er spürte, wie das Feuer in seinem Blut heißer wurde und ihn übermannen wollte. „Jetzt ist es nicht notwendig“ dachte er sich.
„LAUF! Los LAUF, Hopp hopp!“ . Und der Orkjunge lief unter „Olorghi“-Rufen in das Orkfort während Thorgat sich rasch entfernte.
12.
Vor etwa 60 Götterläufen
Nach zähem Ringen hatte der Zwerg sich auf den menschlichen Räuber geworfen. Im dichten Handgemenge hatten beide ihre großen zweihändigen Waffen aufgeben müssen. Nun pinnte der Zwerg den Mann mit seinem Gewicht auf dem Torso nieder, hatte ihn endlich unter Kontrolle. Und Zenitmeter um Zentimeter senkte er den Dolch weiter hinab auf die Brust des Mannes. Verzweifelt versuchte der dagegen zu halten, aber letztlich war der Zwerg stärker. Die Spitze des Dolches berührt den Brustkorb, die Haut spannt sich. Mit japsendem Atem blickt der Mann in das Gesicht des Zwergen. Sein flehender Blick trifft auf ein hartes, entschlossenes Gesicht. Das Metall durchbohrt die Haut, der Schmerz setzt ein. Entsetzen in den Augen des Unterlegenen, hilflos zappelt er noch hin und her. Schaut den Zwerg flehend an, wie ein Hundewelpe. Der Zwerg sieht es, aber mit beständiger Kraft drückt er den Dolch tiefer hinab, noch einen Zentimeter tiefer, noch einen. „Du musst tun was notwendig ist, es gibt keinen Platz für Schwäche auf dem Schlachtfeld. Eines Tages wirst du verstehen was notwendig ist, Thorgat“, so dröhnte es im Schädel des Zwergen – er hatte verstanden. Als sich der Dolch in quälender Langsamkeit weiter in die Brust des Räubers bohrt weicht der flehende Blick erst blankem Entsetzen und schließlich der Hoffnungslosigkeit. Der Atem wird zu einem erstickten Pfeifen und Gurgeln, als ein Lungenflügel durchstochen wird. „Er stirbt jetzt, und er weiß es, in diesem Moment erkennt er die Unvermeidbarkeit seines Todes“. Gradezu fasziniert liest der Zwerg den Gesichtsausdruck des Menschen, treibt den Dolch bis zum Heftanschlag zwischen den Rippen hindurch. Nun rührt er sich nicht mehr, die Miene im Ausdruck des gewaltsamen Todes eingefroren. Langsam zieht er den blutigen Dolch aus der Wunde, das warme Blut dampft in der eisigen Morsansluft.
„Was ein Stück Metall doch anrichtet. So ein kleines Stück Metall…da lebt jemand über Dekaden oder auch über Jahrhunderte, tut tausend Dinge in seinem Leben, kann Unglaubliches vollbringen…ein kleines Stück Metall löscht es einfach aus. Lässt nichts zurück als einen Körper der zu Staub wird und Erinnerungen die verblassen werden. Ein so kleiner Dolch, eine so große Wirkung…“
29. Seker, 18. n. H.
Zusammengesunken sitzt er am großen steinernen Versammlungstisch in der Binge von Kesselklamm. Vor ihm auf dem Tisch ein Dolch. Kein Blut klebt an ihm, aber für Thorgat war es schlimmer. Schwer zu erkennen hängen einige drahtige braune Haare an der Klinge, und leichter zu erkennen ein ganzes Büschel davon am Boden neben dem Tisch. „Was so ein Stück Metall doch anrichtet. Da lebt ein Bruder über Dekaden…und ein kleines Stück Metall straft ihn, wie es vielleicht der Tod nicht könnte. Ein so kleiner Dolch, eine so große Wirkung…“
Ihm als Hauptmann war nach dem Urteil des Zwergenrates die Pflicht zugefallen, die Rasur vorzunehmen. Keine vollständige Entbartung, doch ein Stutzen das weit genug ging, um den Zwergen für alle anderen Zwerge als Ausgestoßenen zu brandmarken. Und ihn in seinem Inneren zu verletzen wie glühende Kohlen die man schluckt. „Wenn die Götter ihm gnädig sind, und wenn er seine Ehre wiederfindet und das, was einen Dwarschim ausmacht, dann wird sein Bart wieder wachsen. Dann soll alle Strafe vergessen sein und alle Schuld getilgt sein. Doch bis dahin ist er nun auch äußerlich so wie er sich verhalten hat: ein kleiner Mensch mit kurzem Bart. Mögen die Götter ihn wieder auf den rechten Pfad führen.“
Lange noch hing er seinen Gedanken nach…er hatte die schmerzlichste Pflicht übernehmen müssen, die seine Verantwortung mit sich brachte. Und seine Treue und Ergebenheit erlaubten es ihm nicht, sie nicht gehorsam auszuführen. Aus der Notwendigkeit heraus war er hier mehr geworden als der schlichte Soldat, der er immer nur bleiben wollte. Doch was würde noch auf ihn zukommen…wie viel würde ein Dwarschim im fortgeschrittenen Herbst seines Lebens noch ertragen müssen…ertragen können?
13.
Gemeinsam mit seinem treuen Kameraden Hadhal, dem Ausbilder der Zwergenwache, und der gutmütigen Tantalla, die letzte Vorräte von der Taverne in die Binge verlagerte, nahm Thorgat ein letztes warmes Met ein. Stärkung vor dem Dunkeltief, sich noch einmal mit dampfendem Met von innen aufwärmen, bevor die Kälte sich wie ein Mantel um jede Brust legen würde…
Eigentlich war es töricht gewesen, grade jetzt die Erinnerung an ein vergangenes Dunkeltief hervorzukramen, schließlich soll man den EINEN ja nicht an die Wand malen. Doch irgendwie brachen die Erinnerungen aus dem Vergessen hervor und so erzählte er ihnen in kurzer Form, was sich damals vor ungefähr 100 Jahren zugetragen hatte:
Thorgat und mehrere Dwarschim aus seiner Wache waren einer Eskorte zugeteilt. Sie sollten den letzten Warentransport des Morsans schützen und wie üblich Metalle, Kohle und Schmiedeerzeugnisse aus ihrer Binge gegen Fleisch, Kohl, Möhren, Kartoffeln, Met, Felle und Stoffe bei den Talzwergen tauschen. Und so rumpelten die schwer beladenen Karren die schmalen Passstraßen hinab vom Weltenberg zu den fernen Tälern, wo die Talzwerge lebten. Anfangs kamen sie gut voran, die Passstraßen waren unermüdlich geräumt worden. Doch weiter unten, im „Niemandland“ zwischen den hoch gelegenen Gebieten der Bergzwerge und denen der Talzwerge zu den Füßen der Berge war ihnen das Wetter ungnädig gestimmt. Spätestens zum 25. Sekar hätten sie „Arphet krell Dnalor“ erreichen sollen, das Dunkeltief über dort bleiben und nach den Feiern zum Ende des Dunkeltiefs im Oner wieder abreisen sollen. Aber heftige Schneestürme hatten ein schmales Tal unwegbar gemacht. Schneeverwehungen so hoch wie die Dwarschim selbst türmten sich immer wieder vor ihnen auf und verzögerten ihr Vorankommen. Gegen die Kälte waren sie dick eingepackt, mehrere Lagen Stoffe und Fell wärmten ihre Körper, zudem waren sie solches Wetter gewöhnt. Und kleine massive Körper mit gesunden Fettpolstern kühlen auch nicht so schnell aus wie der Körper eines drahtigen Elfen. Vielmehr plagte sie die Zeit im Nacken. Wie ein drohender Schatten und Vorboten des Dunkeltiefs zogen Unwetterwolken hinter den Karren auf und drohten sie einzuholen.
Schließlich waren sie auch am 30. Sekar noch über einen Tagesmarsch vom Arphet krell Dnalor entfernt. So kam es, dass sie zur dunkelsten Zeit des Jahres draußen in Schneegestöber festsaßen und nichts tun konnten, außer auszuharren und zu beten.
Noch bevor der letzte Strahl Felas hinter den gezackten Berghängen versank entzündeten die Händler ihre Fackeln und Lampen, die Krieger griffen nach ihren Waffen und verteilten sich in angespanntem Schweigen um den Trek. Zuvor hatten sie gemeinsam gebetet: zu Arkadon, dem Herrn des Feuers, damit er ihre Fackeln am Leben erhalte, die Dunkelheit vertreibe und ihr Innerstes wärmen möge. Und zu Bellum, damit er sie stärke und ihre Waffen voll göttlichem Zorn gegen den dunklen Feind lenken möge, den sie erwarteten.
Kaum war die Finsternis über sie herein gebrochen waren sie auch schon umgeben von unheilvollen Geräuschen: Knirschen und Stapfen im Schnee, scharrende Geräusche, Flügelschläge in der Luft. Und dazu mehrere Paare böse funkelnder Augen inmitten der Dunkelheit. Voller Anspannung und Wachsamkeit fieberte Thorgat dem Angriff entgegen…
…und er wartete einen Zyklus…und einen weiteren Zyklus…und den ersten Tag des Dunkeltiefs…und den zweiten…
Immerfort waren sie von den Geräuschen umgeben, konnten am Rand des Fackelscheins schemenhafte Umrisse erkennen und die leuchtenden Augen…sie wurden belauert, belagert, aber der Angriff blieb aus. Es zerrte an den Nerven der Krieger…ein Feind der da war, aber den man nicht sehen konnte. Jeden Moment rechneten sie dem Angriff, und jeder Moment den sie länger warten mussten steigerte ihre Nervosität.
„Zeigt euch endlich, kommt endlich, damit wir den Schnee mit eurem Blut färben können!“ wollte Thorgat in die Dunkelheit schreien. Aber die Angst, was dann wirklich über sie hereinbrechen könnte, lähmte seine Zunge. 2 Tage lang sprach keiner von ihnen, konnte keiner von ihnen schlafen oder essen. Die vielleicht längsten zwei Tage ihres Lebens.
Als die Kreaturen zum 3. Tag angriffen, waren die Dwarschim erschöpft und geschwächt. Noch mehr im Geiste zermürbt als körperlich. Mit Müh und Not konnten sie die dunklen Geschöpfe abwehren, doch von den Wachen überlebten nur zwei Drittel, von den Händlern gar nur die Hälfte. Die Hälfte der Wagen mussten sie zurücklassen, kostbare Fracht, weil auch einige stämmige Pferdchen den Angriffen zum Opfer fielen. Mit dem Ende des Dunkeltiefs wurde das Wetter schlagartig besser und am zweiten Oner erreichten sie die Talzwergensiedlung. Thorgat und seine Begleiter mussten sich zwingen, ihr eigenes Überleben zu feiern, wo doch erst kurz zuvor die Toten dem ewigen Feuer Arkadons übergeben worden waren.
„Daher sage ich Euch: Lieber ein Feind den man sieht als die Ungewissheit. Ungewissheit ist das schlimmste. Ich schaue lieber in die scheußliche Fratze eines mächtigen Monsters als nur machtlos abwarten zu können…lasst uns beten, dass es dieses Dunkeltief nicht so kommen wird.“ Mit diesen Worten und eindringlichem Nicken der beiden anderen Zwerge schlürfte Thorgat den Rest des warmen Mets aus dem Krug. Rasch die letzten Vorbereitungen treffen und beten: Fela würde gleich untergehen.
14.
Schnarchend wälzte sich der alternde Zwerg im Schlaf. Ein anstrengender Abend lag hinter ihm: die Wanderung von Kesselklamm nach Brandenstein, hinab nach Greifenklipp und zum Westen Falkensees und wieder zurück, alles begleitet von Gesang und Gegröhle…ein anstrengender Zweikampf im Ring der Nortraven, ein kindskopfgroßer Krug Eiswasser, Unmengen von Met und zum Schluss noch das Schwarzbier bei den Hobbits, wo ihn der alte Bartfüßler immerfort so seltsam finster angesehen hatte…
Sternhagelvoll war er ins Bett gefallen, hatte nichtmal mehr das eiserne Gebiss aus dem zahnlosen Mund genommen. Der Alkohol bescherte ihm eine unruhige Nacht, und in die Erinnerungen der gesungenen Trinklieder des Abends mischte sich die Erinnerung an andere Märsche und Gesänge:
Fela klettert grade über die zerklüfteten Bergspitzen der Drachenschwingen und taucht die eigentlich kalte, karge Gebirgslandschaft in ein warmes gelbes Licht. Die morgendliche Stille wird jäh von lautem kehligen Gesang zerrissen:
„Durch tausend Dwarschim zuckt es schnell,
Und aller Augen blitzen hell;
Die Dwarschim, tapfer, fromm und stark,
beschützen die heilige Landesmark.
Solang ein Tropfen Blut noch glüht,
noch eine Faust den Hammer führt,
und noch ein Arm die Sehne spannt,
betritt kein Feind hier unser Land!“
Der Gesang stammt von den 50 Zwergen in voller Kriegsmontur, die in Formation durch das Gebirge wandern. Die Bergwände werfen das Echo zurück und täuschen den Klang von hunderten Kehlen vor. Grimmig schauen die Zwerge drein, doch in ihrer Mitte ist ein lächelndes Gesicht. Noch jung, frei von Falten, der Zwerg mag noch nichtmal die Glut der zweiten Esse hinter sich haben und trägt die Uniform eines Rogals. Seine Augen funkeln vor froher Erwartung: er zieht in seine erste Schlacht und kann es kaum erwarten. Aufgeputscht und angestachelt vom rauen Gesang, vom Blitzen der Waffen und Rüstungen im Felaaufgang. Er ahnt nichts von der Wirklichkeit des Krieges, kennt dafür aber all die Heldensagen über Ruhm und Ehre, die in den nächsten Zyklen beim Marsch inbrünstig gesungen werden.
Bis zu jenem Tag vor 254 Jahren hatte Thorgat keine Albträume gekannt…