Dies ist eine Geschichte von Tim_Benion
1. Vandrien, irgendwo zwischen Vandris und Pas
2. Vandrien, etwa eine Tagesreise westlich von Pas
3. Vandrien, eine Hütte im Wald westlich von Pas
4. Vandrien, ein kleines Dorf nicht einmal einen Zyklus vor Pas
5. Vandrien, ein kleines Dorf nicht einmal einen Zyklus vor Pas
6. Vandrien, Lager der Königlich Kirchlichen Streitkräfte östlich von Pas
7. Vandrien, Lager der Königlich Kirchlichen Streitkräfte östlich von Pas
8. Vandrien, Handelsposten östlich von Pas
9. Vandrien, vor den Osttoren von Pas
10. Vandrien, irgendwo im Gebirge südlich von Pas
11. Vandrien, Pas
12. Vandrien, Pas
13. Epilog
Anmerkung: Hier wird die Geschichte von Benions Vater weitererzählt, die hier nachzulesen ist: http://schnellerwind.mind.de/Foren/phpBB3/viewtopic.php?f=27&t=28117.
Veridon ist ein Spion der Oculus Ecclesiae, ein Geheimbund der Viergöttlichen Kirche dessen Aufgabe es ist „Probleme zu lösen“. Dazu werden Geweihte Astraels und Bellums rekrutiert, die fortan unter eine Tarnidentität leben und Aufträge am Rand der Legalität erledigen. Sein letzter Auftrag jedoch wird Veridon zum Verhängnis. Eine Gruppe der Diener des Einen kommt hinter seine Identität und macht daraufhin Jagd auf ihn und seine Familie. Seine Frau Delia und sein kleiner Sohn können auf ein Schiff fliehen, aber sie werden von einem Attentäter verfolgt. Delia fällt dem Attentäter zum Opfer und Benion wird auf der kleinen Insel Hügelau einem Kloster Vitamas übergeben. Veridon kann nur mit viel Glück einem magischen Angriff entkommen. Zwar gelingt es ihm die Verräter zu töten, aber für die Oculus gilt er als verstorben. Seit dieser Zeit sind viele Jahre vergangen.
1. Vandrien, irgendwo zwischen Vandris und Pas
Schon von weitem konnte man das metallische Klirren der Kettenhemden hören. Eilig wichen die Flüchtlinge von der Straße zurück und traten in das vom Dauerregen sumpfig gewordene Feld. Gerade rechtzeitig, denn im nächsten Augenblick marschierte eine Gruppe schwer bewaffneter Soldaten die befestigte Handelsstraße entlang. Es handelte sich um einen Trupp der gefürchteten Schwarzen Legion. Sie war während der Wirren des Bürgerkrieges von einigen fanatischen Anhängern Angamons gegründet worden und terrorisierte seitdem im Namen des Gottkönigs die Bevölkerung. Ihren Namen hatte sie von ihren einheitlich schwarzen Uniformen: Über die mit Ruß geschwärzten Kettenhemden trugen sie eine Tunika mit dem blutroten Zeichen des gezackten Dolches, der ein Herz durchstößt. Ihre Gesichter wurden von ebenfalls schwarzen Vollhelmen verdeckt, die nur winzige Schlitze zum Atmen und Sehen aufwiesen. Es hieß das jeder, der das Gesicht eines Schwarzen Soldaten sehen würde, unweigerlich dem Tode geweiht war. Manch einer munkelte sogar, dass sich Dämonen in den Rüstungen verstecken würden. Vielleicht erklärte das auch, warum es den Truppen des Königs und der Viergöttlichen Kirche bisher nicht gelungen war die Schwarze Legion aufzureiben.
Zum Glück für die Flüchtlinge hatten die Soldaten am heutigen Tag einen anderen Auftrag und so marschierten sie ohne die Flüchtlinge auch nur zu beachten an ihnen vorbei. Eine Frau in zerschlissenen Kleidern brach vor Angst weinend zusammen. Doch keiner der Flüchtlinge wagte es sich zu rühren und nach ihr zu sehen. Nur einer, ein Mann gekleidet in eine dreckige graue Robe, trat zu ihr und tätschelte ihre Hand um ihr ein wenig Trost zu spenden. Er beugte sich zu ihrem Ohr.
„Psst, versucht leise zu sein. Ihr dürft die Aufmerksamkeit der Soldaten nicht auf euch ziehen.“
Schwach nickte die Frau und es kam nur noch ein leises Wimmern von ihr. Schließlich waren die Soldaten vorbei gezogen und die Flüchtlinge kehrten langsam auf den Handelsweg zurück um ihre beschwerliche Reise fortzusetzen. Sie alle wollten fort aus Vandrien. Sie hatten sich für den Weg nach Norden entschieden, da seit kurzem das Gerücht umging die Schwarze Legion würde sich im Süden sammeln und einen Angriff auf Vandris vorbereiten.
Der Mann in der dreckigen grauen Robe half der Frau auf und zurück auf die Straße. Dankbar sah sie ihn an.
„I…ich danke euch.“
„Wir alle haben es schwer, da sollten wir zusammen stehen.“
„Mhm… das hat mein Mann auch immer gesagt.“
„Wo ist euer Mann jetzt?“
Traurig schlug die Frau die Augen nieder.
„Sie… sie haben ihn getötet.“
„Das… tut mir leid. Bitte verzeiht meine Neugier.“
„Nein, nein, schon gut. Wir hatten eine Taverne in einem kleinen Dorf südlich von Vandris. Vor zwei Wochen kam ein Spähtrupp der Legion zu uns. Sie verlangten Essen und Trinken und Hafer für ihre Pferde. Ich eilte hinaus um die Pferde zu versorgen, während mein Mann ihnen das Gewünschte brachte. Vermutlich hat er ihnen dabei ins Gesicht gesehen… Worald war immer so stur. Er ließ sich von niemandem herum schuppsen. Als ich den Hafer in die Tröge der Pferde gab hörte ich von drinnen meinen Mann schreien. Ich eilte schnell zurück, doch er lag tot vor einem der Soldaten am Boden. Ich konnte nur seinen Hinterkopf sehen…“
Sie machte eine kurze Pause und schauderte.
„Sein Kopf war ganz glatt rasiert und mit Tätowierungen versehen. Seine Kameraden wurden auf mich aufmerksam. Da bin ich davon gerannt und habe mich im Wald versteckt. Einen Tag lang habe ich mich um mein Leben gefürchtet. Dann kehrte ich in das Dorf zurück, doch von der Taverne standen nur noch die Grundmauern… den Rest hatten sie abgebrannt. Also habe ich beschlossen aus Vandrien zu flüchten. Meine Familie lebt hier schon seit Jahrhunderten, aber ich kann es einfach nicht mehr ertragen…“
Sie hob den Blick und betrachtete den Mann in der Robe, der neben ihr einher ging. Sein Gesicht war von etlichen Narben gezeichnet, das schwarze Haupt- und Barthaar verfilzt und ungepflegt. Doch als sie seine Augen sah, wunderte sie sich sehr.
„Ihr seid nicht von hier.“
„Wie kommt ihr darauf?“
„Eure Augen… sie glänzen. Ich habe schon seit Jahren keine glänzenden Augen mehr bei einem Einwohner Vandriens gesehen. Der Blick der Bewohner dieses einst so stolzen Landes ist gebrochen. Nein, ihr seid kein Vandrier. Wer also seid ihr dann?“
Erschrocken blieb sie stehen und wich dann etwas von ihm zurück.
„Ihr seid doch kein Späher der Kirche oder des Königs, oder? Wenn die Dunklen mich in eurer Begleitung finden, werden sie mich sofort töten!“
Beruhigend hob der Mann seine Hände.
„Nein, ich gehöre nicht zur Kirche, jedenfalls… mhm.“
Er schien noch etwas sagen zu wollen, aber schwieg dann. Die Frau beruhigte sich etwas und trat wieder näher. Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort.
„Aber wenn ihr nicht von der Kirche oder vom König seid, was macht ihr dann in diesem von den Göttern verlassenen Land?“
„Was macht euch so sicher, dass dieses Land von den Göttern verlassen ist?“
„Ihr macht mir Späße… schaut euch doch einmal um. Die Hälfte der Bevölkerung ist obdachlos und versucht das Land zu verlassen. Die andere Hälfte dient entweder dem Einen oder der Kirche – oft auch abwechselnd.“
„Die Viere sind überall, gute Frau. Auch hier in diesem dunklen Land. Sie wachen über uns, wohin wir auch gehen.“
Die Frau schnaubte.
„Also seid ihr ein Missionar. Habe ich es doch gleich gewusst.“
„Ich bin kein Missionar, das versichere ich euch. Mein Name ist übrigens Veridon.“
„Veridon… aha… nun ihr werdet verstehen, dass ich euch nicht meinen Namen nenne. Versteht mich nicht falsch, ich bin euch sehr dankbar für vorhin. Aber in diesen Zeiten weiß man nicht wem man vertrauen kann und wem nicht.“
„Ihr geht mit mir zusammen diese Straße entlang.“
„Ich habe keine andere Wahl. Das hier ist der kürzeste Weg nach Pas. Angeblich soll es dort eine Stellung der Ersonter Ritter geben. Wenn ich erst einmal dort bin, werde ich sicher einen Händler finden der mich mit nach Ersont nimmt.“
„An eurer Stelle würde ich mich nicht darauf verlassen. Die Ersonter mussten sich vor fünf Tagen zurückziehen. An eurer Stelle würde ich lieber den Weg nach Norden Richtung Khalandra wählen. Die dort lebenden Stämme sind zwar rau, aber sie haben ein gutes Herz. Sie werden euch aufnehmen, wenn ihr bereit seid für euer Essen und eure Unterkunft zu arbeiten.“
Stirnrunzelnd blickte sie ihn an.
„Wer seid ihr? Woher wisst ihr das alles?“
„Ich bin ein Mann ohne Vergangenheit.“
Sie verstummte und blickte ihn verwundert an. Was sollte sie darauf auch erwidern? Ganz offensichtlich wollte dieser Mann… Veridon… nicht über sich sprechen. Also Schritt sie einfach weiter stumm neben ihm her und hing ihren Gedanken nach.
Am Abend schenkte der Regen den rund dreißig Flüchtlingen eine kleine Verschnaufpause und sie fanden sogar ein kleines Waldstück, in dem sie rasten konnten. Selbst wenn es möglich gewesen wäre, hätten sie sich wohl nicht getraut ein Feuer zu entzünden. Viel zu groß war die Gefahr von einer umherziehenden Söldnerbande oder der Schwarzen Legion entdeckt zu werden. Vandrien war kein Land in dem es gut war aufzufallen.
Veridon und Siljana – ihren Namen hatte sie ihm inzwischen verraten – liebten sich in dieser Nacht. Siljana rutschte zu ihm in den Schlafsack. Nicht weil sie ihn liebte. Siljana fand ihn nicht einmal besonders begehrenswert. Sie waren einfach nur Mann und Frau, zwei Wanderer durch ein Land das von einem brutalen Bürgerkrieg in zwei Hälften gerissen wurde… Und insgeheim sehnte sie sich nach etwas Nähe, nachdem sie ihren Worald verloren hatte.
Als sie am nächsten Morgen erwachte war er fort. Seinen Schlafsack hatte er ihr überlassen.
2. Vandrien, etwa eine Tagesreise westlich von Pas
Tief in Gedanken versunken stapfte Veridon durch den dichten Tannenwald. Nebel ließ ihn kaum zehn Schritt weit sehen. Es war beinahe unmöglich sich nicht zu verlaufen. Doch das störte den Mann in der dreckigen grauen Robe nicht. Verlaufen kann sich nur, wer ein Ziel hat. Gerade daran mangelte es dem einsamen Wanderer. Sieben Jahre schon streifte er durch das Land. Sieben Jahre war es her, dass er sich von seiner Frau verabschiedet hatte. Sieben Jahre das er zum letzten Mal in das kleine Gesicht seines Jungen gesehen hatte…
Er schämte sich wegen letzter Nacht. Er hatte nicht mit der Frau schlafen wollen, doch sie hatte in ihm etwas geweckt das er lange für verloren geglaubt hatte. Was war nur aus ihm geworden? Einst war er ein stolzer Diener Bellums gewesen, doch die Oculus hatte aus ihm einen Attentäter gemacht. Er hatte seine Ehre verkauft und dafür Frau und Kind verloren.
Seine Schritte wurden langsamer und er hob den Blick um sich umzusehen. Wohin er auch sah, es gab nur dutzende von Bäume und dahinter eine weiße Wand. Seine Hand glitt durch sein zotteliges Haar. Der Nebel hatte sich wie ein Leichentuch über das vom Krieg heimgesuchte Land gelegt und verschluckte jeden Ton. Doch halt! Hatte er nicht eben etwas gehört? Suchend drehte er seinen Kopf nach links und rechts. Wieder etwas. Stimmen? Ja, es waren Stimmen. Er konzentrierte sich und versuchte zu verstehen was die Stimmen sagten. Waren es einfache Holzfäller? Oder waren es Räuber? Vielleicht sogar eine Patrouille der Schwarzen Legion? Glücklicherweise war seine Robe grau. Dadurch war er in diesem dichten Nebel kaum zu erkennen.
Die Stimmen wurden lauter. Kamen die Sprechenden näher? Nein, sie veränderten nicht ihre Position. Dann ertönte der schmerzerfüllte Schrei eines Mannes. Veridon war hin und her gerissen. Dies hier war nicht seine Angelegenheit und in diesem Land war es gefährlich zu neugierig zu sein. Andererseits geboten ihm die Viere stets den Wehrlosen beizustehen. Wenn er noch ein Rest von Ehre in sich besaß, so musste er nachsehen. Während er noch dastand und grübelte, ertönte ein zweiter Schrei, dieses Mal von einer Frau. Veridon gab sich einen Ruck, griff sich einen am Boden liegenden dicken und etwa armlangen Ast und eilte in Richtung der Geräusche. Er musste nicht weit laufen, da sah er vor sich das flackernde Licht von Fackeln. Die Stimmen waren nun deutlich zu vernehmen.
„Na wird’s bald?!“
Eine raue Männerstimme, gefärbt von dem übermäßigen Genuss von Tabak und Schnaps.
„Herr… bitte, habt erbarmen! Mein Mann sagt die Wahrheit, wir haben nichts von Wert bei uns!“
Das war die Stimme der Frau die kurz zuvor geschrien hatte. Veridon schätzte sie auf Mitte dreißig. Dazu vernahm er ein leises Husten und Keuchen.
„Halt’s Maul Süße! Wenn du nichts habt, dann nehmen wir eben dich!“
Ein mehrkehliges lautes Lachen schallte durch den ansonsten so ruhigen Wald. Waren es vier Stimmen gewesen oder fünf?
„Ja, und zwar alle nacheinander!“
Wieder eine tiefe Männerstimme. Sie klang leicht nuschelnd, vermutlich war dem Urheber in der Vergangenheit der Kiefer gebrochen worden. Gefolgt wurde es erneut von dem rauen Lachen mehrerer Männer. Vier Männer, wenn sich Veridon nicht täuschte.
„Ihr… Schweine… lasst meine Frau… in Frieden!“
Die Stimme war leise und gepresst und voller Schmerz. Offenbar hatte der Mann schon einiges abbekommen.
„Falsche Antwort, Abschaum.“
Ein dumpfer Schlag ertönte, gefolgt von einem schmerzerfüllten Aufkeuchen und einem unterdrückten Frauenschrei. Wieder ertönte die Stimme der Frau, jetzt weinerlich und angsterfüllt klingend.
„Bitte… bitte… lasst ihn in Ruhe… wenn ihr mir das versprecht, dann werde ich… ihr dürft dann…“
„Ist sie nicht süß, Männer, sie glaubt tatsächlich sie hätte eine Wahl!“
Das war wieder die erste Stimme. In geduckter Haltung schlich Veridon näher. Er konnte nun vereinzelte Schemen erkennen. Vier Männer in lumpiger Fellkleidung standen um eine Frau herum. Drei von ihnen trugen eisenbeschlagene Holzknüppel bei sich, der vierte hatte ein Messer auf die Frau gerichtet. Sie hatte Veridon den Rücken zugekehrt, so dass er nur ihr braunes schulterlanges Haar sehen konnte. Am Boden neben der Frau lag zusammengekrümmt ein Mann und hielt sich den Bauch.
Der ehemalige Diener Bellums schickte ein schnelles Gebet zu den Vieren, dass die Räuber ihn nicht zu früh bemerken würden. Die Kerle waren aber viel zu sehr auf die Frau konzentriert. Der hinter ihr stehende packte sie an den Schultern, während der Mann mit dem Messer eben jenes hinter seinen Gürtel klemmte und begann an seiner Hose herum zu nesteln. Die beiden links und rechts von ihm johlten und feuerten ihn an.
Mit großen Sätzen überwand Veridon die letzten Schritte zu der Gruppe, achtete dabei sorgfältig darauf nicht im letzten Moment noch über eine Wurzel zu stolpern. Seine Robe schützte ihn bis zuletzt vor neugierigen Blicken. Dann war er heran, holte mit seiner improvisierten Waffe aus und schlug sie kraftvoll gegen den Hinterkopf des Abschaums, der die Frau gepackt hielt. Sein Kopf prallte nach vorn gegen den Kopf der Braunhaarigen. Deutlich hörte man die Wirbelsäule des Mannes brechen. Die Frau schrie erschrocken auf. Die Kameraden des Toten waren zu überrascht, um auf den plötzlichen Angriff reagieren zu können. Der Messerträger hatte eine Hand immer noch tief in seiner Hose vergraben. Das nutzte Veridon aus und rammte ihm kräftig das Ende des Astes in das Gesicht. Seine Nase brach, Blut spritzte und ohnmächtig sackte er nach hinten zurück. Von den zwei noch stehenden Räubern bekam einer es mit der Angst zu tun und nahm die Beine in die Hände. Der andere erholte sich von seinem Schock und ging nun seinerseits zum Angriff über. Veridon musste einen kräftigen Schlag mit der Keule abwehren. Ein gefährliches Knacken von brechendem Holz erklang und er Begriff, dass seine Waffe kurz davor war den Geist aufzugeben. Wieder holte der Räuber zu einem mächtigen Schlag gegen seine Hüfte aus und dieses Mal brach der Ast in zwei. Der Aufprall der Keule wurde dadurch abgebremmst, dennoch taumelte Veridon zwei Schritte beiseite und fand sich in den Ästen einer jungen Tanne wieder. Er war noch dabei sich von der nadeligen Umklammerung zu befreien, da holte der Angreifer erneut aus. Im letzten Moment gelang es Veridon sich zur Seite zu rollen und der Schlag ging ins Leere. Hastig sah er sich um. Er brauchte eine neue Waffe, denn er würde den Schlägen nicht ewig ausweichen können. Sein Blick blieb an der Frau hängen, die wie erstarrt da stand und den Kampf verfolgte.
„Schnell, das Messer!“, rief Veridon ihr zu.
Es dauerte einige Augenblicke bis sie zu begreifen schien und sich aus ihrer Starre löste. Kostbare Zeit, die der Räuber zu einem weiteren Angriff nutzte. Hauchdünn pfiff die Keule über Veridons Kopf hinweg, als er unter dem Schlag weg tauchte. Ein kurzer Blick zu der Frau sagte ihm, dass es ihr inzwischen gelungen war, dem Bewusstlosen mit der gebrochenen Nase das Messer abzunehmen. Doch sie stand zu weit weg. Der Räuber hatte das erkannt und vertrat Veridon den Weg. Ein löchriges dreckiges Grinsen breitete sich auf seinem von Warzen übersäten Gesicht aus.
„Du kämpfst wie ein dummer Bauer.“, meinte er mit rauer Stimme in Richtung des Waffenlosen.
„Wie passend, du kämpfst wie eine dumme Kuh.“
Wutschnaubend ging der Räuber erneut zum Angriff über.
„Das Messer! Werft es mir zu!“, schrie Veridon, dann musste er der Keule ausweichen. Er konnte nur kurz zu der Frau sehen, dann zog das beschlagene Holz wieder seine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Frau ziemlich ungeschickt ausholte und das Messer in seine Richtung warf. Der Wurf war zur kurz und das Messer landete zwei Schritte von ihm entfernt im nassen Laub. Erneut sauste die Keule heran, dieses Mal von oben schräg gegen seinen Kopf. Veridon sprang zur Seite, nutzte den Schwung und rollte sich auf dem Boden ab. Er bekam das Messer zu fassen, nur leider bloß an der Klinge. Tief schnitt sich das schartige Metall in seine Finger. Er hatte allerdings keine Zeit den Schmerz an sich heranzulassen, sondern drehte sich herum, zielte und schleuderte das Messer gegen den Räuber. Das Messer schabte an der erhobenen Keule vorbei, wurde dadurch leicht in der Richtung geändert und bohrte sich tief in die Kehle des Angreifers. Mit einem gurgelnden Laut brach er zusammen.
Keuchend ging Veridon in die Knie und schnappte nach Luft. Nach den Jahren des Umherziehens war er ziemlich eingerostet. Jetzt erst wurde er des Schmerzes in seiner rechten Hüfte und Hand bewusst. Da er noch gehen konnte war wohl nichts gebrochen, aber es würde vermutlich einen ziemlich üblen blauen Fleck geben. Der Schnitt in seiner Hand hingegen war nicht so schlimm wie gedacht. Bei den Schwertübungen während seiner Zeit als Novize hatte er sich schon schlimmere Verletzungen zugezogen.
Als er wieder zu Atem gekommen war, erhob er sich und sah nach dem Ehepaar. Die Frau hatte sich über ihren Mann gelehnt und tupfte ihm mit einem Tuch über das Gesicht. Als Veridon herantrat, sah sie zu ihm auf. Ihr Gesicht war tränenüberströmt und Furcht hatte sich tief hineingefressen, dennoch brachte sie ein schwaches Lächeln zu Stande.
„Danke, oh Herr. Ihr habt mir und meinem Mann das Leben gerettet…“
„Wie geht es ihm?“
„Die Männer haben ihm das Bein gebrochen und er hat einige üble Schläge in den Bauch abbekommen, aber er ist am Leben.“
„Er muss zu einem Heiler. Kommt, ich werde euch helfen ihn fort zu bringen. Wer weiß, vielleicht kehrt der entkommene Räuber mit ein paar seiner Kumpanen zurück.“
Die Braunhaarige nickte und gemeinsam zogen sie den halb-bewusstlosen Mann in die Höhe. Als sie seine Arme über ihre Schultern gelegt hatten, wandte die Frau den Kopf in Richtung Veridon.
„Nicht weit von hier wohnt eine alte Frau. Sie ist eine Kräuterkundige. Am besten bringen wir sie dort hin.“
„Einverstanden.“
Langsam gingen sie voran und der Verletzte gab sich alle Mühe zumindest zu Humpeln. Als sie an dem bewusstlosen Räuber mit der gebrochenen Nase vorbei kamen, wurde die junge Frau langsamer.
„Wartet einen Augenblick.“
Veridon sah ihr stirnrunzelnd nach, als sie den Arm ihres Mannes von ihren Schultern gleiten ließ. Sie eilte hinüber zu dem Toten, der kurz zuvor mit Veridon gekämpft hatte. Ohne Scheu griff sie hinab, zog das Messer aus der Kehle des Mannes und kam dann zurück geeilt.
„Eine gute Idee, vielleicht können wir das Messer noch… halt, was tut ihr da?!“
Als die Frau näher kam, ging sie über dem Bewusstlosen in die Hocke und rammte ihm das Messer zwischen die Rippen. Dann spuckte sie ihm ins Gesicht und erhob sich.
„Seid ihr von allen Vieren verlassen? Was sollte das? Der Mann war bewusstlos und stellte keine Gefahr mehr da!“
„Ihr seid nicht von hier, oder?“
3. Vandrien, eine Hütte im Wald westlich von Pas
Die drei kamen nur langsam voran. Nach dem Ende des Kampfes hatte Veridons Hüfte schon bald zu Schmerzen begonnen. So humpelten sie gemeinsam dem Ziel entgegen.
Der Nebel hatte sich ein wenig gelüftet, da wurde Veridon sich eines Schattens bewusst am Rand seines Gesichtsfeldes bewusst. Als er den Kopf in die Richtung der Bewegung drehte, konnte er ein großes Geschöpf ausmachen, das in einigen Schritten Abstand neben ihnen her lief. Der Größe nach musste es sich um einen Bären handeln, doch die Art wie es sich bewegte passte besser zu einem Wolf. Hastige Bewegungen vermeidend wandte er seinen Kopf zu seinen Begleitern.
„Scheint als wäre ein Bär auf uns aufmerksam geworden. Hoffen wir, dass wir nicht in das Gebiet einer jungen Mutter eingedrungen sind.“
„Das ist kein Bär.“, antwortete die junge Frau und schien sich auch sonst nicht um den stillen Begleiter zu sorgen.
„Aber wenn es kein Bär ist, was…“
Noch ehe er den Satz beenden konnte, traten vor ihnen drei weitere mächtige Geschöpfe aus dem Wald. Jetzt erkannte Veridon seinen Irrtum. Es waren tatsächlich keine Bären, sondern geradezu riesige Wölfe. Riesige Wölfe, deren Nackenfell sich sträubte und die bedrohlich knurrend zu den drei Wanderern sahen. Nein, viel mehr sahen sie zu Veridon. Ein besonders großes Tier, über dessen linke Gesichtshälfte sich eine alte Narbe zog, trat vor.
„Macht jetzt keinen Fehler.“, zischte die Frau neben ihm und wandte sich dem Wolf zu.
„Er gehört zu mir.“
Widerstrebend wichen die Wölfe beiseite und gaben den Weg frei. Erst als Veridon die Tiere hinter sich gelassen und sich vergewissert hatte, dass sie ihm nicht folgen, wagte er es wieder die Stimme zu erheben.
„Was waren das für… Viecher?“
Aus dem Hintergrund ertönte ein lautes Knurren.
„Ihr solltet die Klauenwölfe besser nicht so nennen in ihrer Gegenwart.“
Klauenwölfe? Veridons Gedanken überschlugen sich. Irgendwo hatte er diesen Namen schon einmal gehört. Ein Wirt hatte ihm vor zwei oder drei Jahren ein Schauermärchen erzählt. Ja, er erinnerte sich. Klauenwölfe waren der Legende nach ein uraltes Geschlecht. Ihre Blutlinie reichte bis weit zurück in die Vorgeschichte Tares, als die Amulettkriege noch in ferner Zukunft lagen. Wenn es so etwas wie Könige unter den Wölfen gab, so waren diese Tiere es. Sie zeichneten sich durch Kraft, Schnelligkeit und Intelligenz aus. Ihren Namen hatten sie vom Klauengebirge, dass den letzten ihrer Art als Rückzugsort dienen soll. Wie ihr richtiger Name lautete war nur ihnen selbst bekannt. Angeblich waren sie vor den Amulettkriegen sogar ein Volk gewesen wie Elfen, Menschen und Zwerge auch. Doch der Eine und seine Dämonen hatte fast alle von ihnen ausgelöscht. Seit dem versteckten sie sich in den engen Tälern und dichten Wäldern.
„Klauenwölfe?“
Nun, scheinbar war an der Legende mehr dran, als Veridon gedacht hatte.
Kurze Zeit später kamen sie zu einer kleinen, schiefen und vom Moos überwachsenen Hütte mitten im Wald. Veridon hatte sie auf den ersten Blick gar nicht erkannt und wäre beinahe an ihr vorbei gelaufen, hätte seine Begleiterin ihn nicht angehalten. Sie ließ das Gewicht ihres Mannes nun ganz auf Veridons Schultern ruhen und trat vor um an eine verwitterte Türe zu klopfen.
Es dauerte einige Augenblicke, dann war aus dem Inneren ein Schlürfen zu hören. Schließlich öffnete sich die Türe mit einem markerschütternden Knarren. Ein Schwall warmer Luft stieß ihnen entgegen und in dem Türspalt erschien das Gesicht einer uralten Frau. Jedenfalls vermutete Veridon, dass es sich um eine Frau handelte. Das Gesicht war mit so vielen Falten bedeckt, dass es jedem Faltenrock am Bernsteiner Hof Konkurrenz machen konnte.
„Ah, da seid ihr ja, Narbenschnauze hat euch schon angekündigt. Nun, was wollt ihr von der alten Ilja?“
Veridons Begleiterin deutete einen Knicks an.
„Oh Ilja, mein Mann und ich wurden von mehreren Räubern überfallen. Dieser Herr hier eilte uns zu Hilfe und vertrieb und tötete die Räuber, aber meinem Mann brachen sie ein Bein und schlugen ihn mehrmals in den Bauch.“
Die Alte richtete ihre erstaunlich klaren Augen auf Veridon und den an seinen Schultern hängenden Mann.
„Mhm… mhm… das wird dich einen Monat kosten, wenn die alte Ilja sich darum kümmern soll.“
Die Frau wurde etwas bleicher, nickte aber dann. Die Alte schien damit zufrieden zu sein, stieß die Türe weiter auf und winkte die drei Wanderer herein. Als die Frau wieder neben Veridon trat, um ihm einen Teil der Last abzunehmen, wandte er sich leise Flüstern an sie.
„Einen Monat? Was meinte sie damit?“
„Ilja ist nicht mehr die Jüngste… wenn jemand etwas von ihr will, muss er ihm Gegenzug einige Zeit bei ihr verbringen und den Haushalt für sie machen. Es ist harte Arbeit, aber wenn sie meinem Mann dafür hilft…“
Gemeinsam betraten sie die Hütte, die nur aus einem einzigen Raum zu bestehen schien. Die Alte dirigierte sie zu einem Bett, dass durch einen Vorhang vom Rest des Raumes abgetrennt war. Vorsichtig legte Veridon den Verletzten darauf ab, dann wurde er davon gescheucht. Der Vorhang wurde zugezogen und Veridon blieb allein im Raum zurück. Nachdenklich sah er sich um. An der Seite loderte ein wärmendes Feuer im Ofen. Darüber war ein kleiner Topf angebracht, in dem eine Flüssigkeit blubberte. Als er näher trat, erkannte er, dass es sich um Hühnersuppe handelte. An der gegenüberliegenden Seite des Raumes stand ein kleiner Tisch, der über und über mit staubigen Gläsern bedeckt war. Beinahe schon vermutete Veridon in den Gläsern schwimmende Augen und Echsenschwänze, doch es handelte sich nur um verschiedene getrocknete Kräuter und Blumen. Skeptisch betrachtete einen wackeligen alten Stuhl, entschied dann aber das er sein Gewicht aushalten würde und ließ sich darauf sinken.
Die Behandlung des Verletzten zog sich hin und so wandte sich Veridon wieder seinen eigenen Gedanken zu. Aus einer kleinen Tasche zog er einen metallischen Flachmann, entfernte den Verschluss und nahm einen kräftigen Schluck. Der Schnaps brannte ihm angenehm in der Kehle. Früher hatte er nicht viel von solchen Dingen gehalten. Alkohol schwächte den Körper, doch nachdem er seine Frau und seinen Sohn verloren hatte, hatte sich vieles geändert…
Nachdem er die Diener des Einen besiegt hatte, war er nach Hügelau gereist. Angeblich hatte ein Bote der Oculus seinen Sohn dort hin bringen sollen. Doch dieser Bote war niemals auf Hügelau angekommen. Er hatte sich umgehört, versucht herauszufinden ob eines der Schiffe ein kleines Kind mitgebracht hatte. Schließlich hatte er erfahren, dass ein Matrose davon berichtet hatte, wie Mann der dem Aussehen nach dem des Boten entsprach, auf dem Meer über Bord gegangen war. Sein Sohn Benion blieb aber weiterhin verschwunden. So hatte er annehmen müssen, dass auch sein Sohn der Intrige zum Opfer gefallen war. Nach mehreren Wochen gab er die Hoffnung auf und reiste ab. Seitdem zog er ohne Ziel durchs Land, verdingte sich mal als Feldarbeiter und mal als Kesselflicker. Sein Schwert hatte er schon vor einer ganzen Weile gegen eine Flasche Schnaps eingetauscht. Der Alkohol half ihm dabei zu vergessen. Und je mehr er davon trank, umso mehr vergaß er, dass er einst ein stolzer Diener Bellums gewesen war – bevor ihn die Oculus zum Meuchelmörder ausgebildet hatte und bevor er alles was ihm Lieb war verloren hatte. Bellum war ihm schon lange nicht mehr Hold.
Wieder nahm er einen großen schluck aus dem Flachmann. Da wurde der Vorhang beiseite gezogen und Ilja kam hervor. Im Hintergrund sah er, wie die Frau über ihren Ehemann gebeugt stand und ihm zärtlich über die Wange strich. Es zerriss Veridon beinahe das Herz zu sehen wie andere Glücklich waren…
Ilja bemerkte den Flachmann in seiner Hand und bestrafte ihn dafür mit einem missbilligendem Blick.
„Das Mädchen hat der alten Ilja gesagt, dass du auch getroffen wurdest. Die alte Ilja will sich das ansehen.“
„Was wird mich das kosten?“
„Einen Gefallen, meint die alte Ilja.“
„Ein Gefallen?“
Die alte nickte und deutete mit ihrem krummen Zeigefinger auf ihn.
„Zieh deine Hose aus.“
„Ich glaube nicht, dass ich solch einen Gefallen…“
„Dummkopf! Die alte Ilja will sich deine Verletzung ansehen.“
Zögerlich kam Veridon der Aufforderung nach. Er verzog das Gesicht, als die Alte mit ihren trockenen Fingern über den blauen Fleck an seiner Hüfte tastete. Es fühlte sich an als würde man von einem Skelett gestreichelt. Leise murmelnd schlürfte Ilja zu einem Regal in der Ecke des Raumes und zog einen Tiegel mit einer dreckigen gelben Salbe hervor.
„Die alte Ilja wacht schon seit vielen Jahren über diesen Wald. Sie und ihresgleichen bindet ein uralter Schwur an die Klauenwölfe. Doch der alte Jüngling hat dieses Bündnis befleckt. Du, Nebelklinge, wirst diesen Fleck beseitigen.“
„Nebelklinge?“
Veridon runzelte die Stirn.
„Ich glaube ihr verwechselt mich da mit jemandem…“
„Schweig und lausche den Worten einer Alten. Wir leben nicht ewig und können unsere Zeit nicht mit dummen Geplapper vergeuden.“
Die Alte nahm einen Klecks Salbe und verschmierte sie auf dem blauen Fleck. Zuerst brannte es ein wenig, doch beinahe sofort verschwand das Brennen und mit ihm der Schmerz.
„Wer ist dieser Jüngling von dem ihr redet? Muss ich einen Bauernburschen verprügeln?“
„Der alte Jüngling!“, erwiderte Ilja scharf.
„Niemand hört mehr richtig zu, was die alte Ilja sagt. Es ist der alte Jüngling. Du wirst es wissen, wenn du ihm gegenüber trittst.“
„Und was macht euch so sicher, dass ich das werde?“
„Du hast keine andere Wahl. Doch sei gewarnt: Wenn Nebelklinge dem alten Jüngling entgegen tritt, wird jemand sterben müssen.“
„Wäre es dann nicht sehr unklug, ihm gegenüber zu treten?“
„Du hast keine andere Wahl.“, wiederholte die Alte und schlürfte zurück zum Regal um den Tiegel mit der Salbe dort abzustellen.
„Der Wald hat es der alten Ilja geflüstert.“
„Der Wald…“
„Der Wald, ja! Der Wald war hier schon bevor unser Geschlecht über Tare wandelte und er wird es auch dann noch sein, wenn die goldenen Türme von Draconis zu Staub zerfallen sind. Seine Wurzeln reichen tief bis zum Herzen Tares.“
Veridon wusste nicht was er darauf erwidern sollte. Ganz offensichtlich war er in das Haus einer Verrückten gekommen. Immerhin hatte die Salbe ein wahres Wunder bewirkt, denn von dem Schmerz war nichts mehr zu spüren. Langsam zog er die Hose wieder nach oben und schloss den Gürtel. Es wurde Zeit, dass er von hier fort kam. Sollte die Frau ihn doch ruhig für diesen „Nebelklinge“ halten, er jedenfalls würde schauen das er sich von allen Problemen fern hielt.
„Nun, jedenfalls vielen Dank für eure Hilfe… Ilja.“
Die alte Vettel schenkte ihm nur ein schwaches Nicken.
„Ich denke ich werde jetzt weiter ziehen. Richtet meinen beiden Begleitern bitte meine Entschuldigung und die besten Wünsche aus. Die Viere mit euch…“
„Möge die Mutter über deinen Weg wachen, Nebelklinge.“
Seufzend trat Veridon hinaus in den Wald. Er sah nicht, wie sich ein zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht Iljas breit machte.
4. Vandrien, ein kleines Dorf nicht einmal einen Zyklus vor Pas
Mürrisch blickte der Wirt des kleinen Gasthauses zu dem Mann an dem Ecktisch gleich neben der Türe. Er kannte solche Leute. Kamen hier her, betranken sich ordentlich und machten dann Ärger. Die wenigsten von ihnen hatten genug Geld um die Zeche zu bezahlen. Seufzend erinnerte sich der dicke Mann mit dem fettigen Hemd an die gute alte Zeit vor dem Bürgerkrieg zurück. Zwar war das Dorf Sturmloch auch damals nicht größer gewesen, aber die Lage des Dorfes am Handelsweg zwischen Vandrien und Ersont hatten ihm und seinen Bewohnern zu einem bescheidenen Wohlstand verholfen. Es fanden sich immer Händler die hungrig waren oder von den plötzlichen Wetterwechseln am Rand der Klauenberge überrascht wurden. Doch seit dem der Krieg ausgebrochen war, kam kaum noch jemand hier her. Vor kurzem dann mussten sich die vereinten Truppen des Königs und der Kirche weit hinter Pas zurückziehen. Damit war das Dorf nun schutzlos Räuberbanden oder noch schlimmeren ausgeliefert.
Brummend nahm er zur Kenntnis wie der Mann in der dreckigen Robe seinen Krug hob um nach Nachschub zu verlangen. Er füllte einen Krug mit dem alten schalen Bier statt dem guten frischen – den Unterschied würde der Fremde in seinem jetzigen Zustand eh nicht mehr bemerken – und brachte es hinüber zum Tisch. Dort angekommen knallte er es dem Sitzenden vor seiner Nase auf den schweren Holztisch.
„Geht mich ja nichts an ob du dich wirklich schon so früh am Tag besaufen willst oder nicht, aber ich hoffe du kannst wenigstens dafür zahlen.“
Ohne Kommentar griff der Mann in eine Umhängetasche, die er nach dem dritten Versuch auch traf, und kramte einige Dukaten hervor. Achselzuckend strich der Wirt das Geld ein und kehrte zu seinem Tresen zurück.
Veridon griff nach dem neuen Humpen, hielt kurz an um aufzustoßen und setzte den Holzkrug an seine Lippen um einen kräftigen Schluck zu nehmen. Er versuchte gar nicht erst Zeit darauf zu verschwenden etwas von dem Gerstensaft zu schmecken. Das bisschen Verstand, dass ihm noch geblieben war, sagte ihm, dass der Wirt ihm sicher nicht mehr sein bestes Bier gab. Eigentlich hätte er deswegen ärgerlich sein müssen, doch ihm kam es nicht auf den Geschmack an. Die Begegnung im Wald und der anschließende Abstecher zur Hütte der Kräuterfrau hatte zu viele alte Erinnerungen in ihm geweckt, die er nun versuchte hinweg zu spülen. So wie es aussah war er auf gutem Weg dorthin. Dabei war ihm völlig klar, wie falsch sein Handeln war. Es fehlte ihm die Stärke dem Alkohol zu entsagen. Und verdammt, war der Rausch nicht eine süße Gabe Vitamas? Er hatte alles Recht dazu sich so zu betrinken.
Vermutlich hätte Veridon mit seinem Unternehmen tatsächlich Erfolg gehabt, wenn in diesem Augenblick nicht die Tür aufgeflogen wäre. Herein kamen vier Männer in dunklen Rüstungen, ihr Gesicht durch einen Helm verdeckt. Soldaten der Schwarzen Legion. Der Wirt erstarrte hinter seinem Tresen und senkte hastig den Blick. Der vorderste der Soldaten, offensichtlich so etwas wie der Anführer, ergriff das Wort.
„Das Volk dieses Dorfes wird aufgefordert sich auf dem Brunnenplatz einzufinden. Wer sich weigert oder Widerstand leistet wird getötet.“
Soweit es möglich war, wurde der Wirt noch ein Stück blasser und rief nach seiner Familie. Veridon hingegen blieb ruhig sitzen. Sollten ihn die dreimal verfluchten Soldaten doch töten, dann wäre wenigstens endlich alles vorbei. Er reagiert selbst dann nicht als der Anführer des Trupps direkt hinter ihm Stellung bezog.
„Das gilt auch für dich Abschaum!“
Erst jetzt wandte Veridon seinen Blick über die Schulter und blickte direkt hinauf zum vom Helm verdeckten Gesicht des Soldaten. Dieser zögerte nicht lange, holte mit seiner Hand aus und ohrfeigte den Betrunkenen so stark, dass er das Gleichgewicht verlor und vom Stuhl kippte. Seine Kameraden quittierten den Schlag mit rauem Gelächter.
„Schnappt euch den Trunkenbold und bringt ihn raus zum Platz. Er wird sicher ein gutes Beispiel abgeben.“
Benommen am Boden liegend nahm Veridon war, wie zwei der Soldaten auf ihn zu kamen, ihn bei den Armen packten und dann hinaus schleiften. Das grelle Licht blendete ihn und Schreie brannten sich in seinen Schädel wie heiße Nadelstiche. Er brauchte einige Zeit, bis er Begriff was los war. Die Soldaten der Schwarzen Legion trieben alle Dorfbewohner auf dem Platz vor dem kleinen Brunnen zusammen. Dort angekommen wurde er wie ein Mehlsack fallen gelassen. Es kostete ihn zwei Versuche, bis es ihm gelang sich endlich in die Höhe zu drücken.
Unterdessen nahmen die Soldaten der Legion um die Dorfbewohner Aufstellung. Eine Fanfare ertönte (die Veridon erneut höllische Kopfschmerzen bereitete) und ein es bildete sich eine Gasse für eine Gruppe von Reitern. An ihrer Spitze ritt aufrecht ein Mann mit schwarzem Haar und unnatürlich blassem Gesicht. Im Gegensatz zu den anderen Soldaten trug er keinen Helm. Seine schwarze Rüstung war auf Hochglanz poliert. Die Arm- und Schulterschoner wurden von spitzen Dornen gekrönt und an der Seite des Reiters baumelte ein blutrotes Schwert.
Auf das Zeichen des Reiters hin hielten die Reiter an. Die Soldaten nahmen Haltung an und brüllten alle wie aus einer Stimme:
„Gruß euch, Herzog Blutschwert!“
Ein süffisantes Lächeln erschien auf dem Gesicht des Schwarzhaarigen. Veridon wagte einen kurzen Blick und musste unwillkürlich erschauern. Das Gesicht des Mannes war von makelloser jugendlicher Schönheit. Durch die Hautfarbe gewann man den Eindruck einer Puppe gegenüber zu stehen. Doch am absonderlichsten waren die Augen des Mannes. Wie sein Schwert waren sie blutrot und ohne Pupille. Hastig senkte Veridon seinen Blick wieder.
Im Gegensatz zu seinem Aussehen schalte die Stimme des Herzogs kräftig über den Platz.
„Bürger Vandriens! Freut euch! Die Schwarze Legion ist gekommen, um euch von der Tyrannei des Königs und den verräterischen Vieren zu befreien! Euer Dorf wurde dazu auserkoren einen Teil unseres wachsenden Reiches zu werden. Gemeinsam werden wir die Besatzer aus diesem Land vertreiben zu Ehren des Gottkönigs! All‘ jene von euch, die stark genug sind und willig ihm zu dienen werde ich in eine neue, eine bessere Zukunft führen. Die Schwachen aber werden zu Grunde gehen. Für sie ist kein Platz in dieser neuen Welt. Es ist eine Welt der Ehre und Stärke!“
Er gab seinen Soldaten ein Zeichen, darauf schwärmten sie aus. Zwei von ihnen kamen direkt auf Veridon zu und zogen ihn von den anderen Dorfbewohnern fort. Außer ihm wurde noch ein weiterer Mann aus der Menge geholt. Er trug Kleidung die ihm viel zu groß war und sein Gesicht war von einfacher Natur. Er schien nicht recht zu Begreifen, was die Soldaten von ihm wollten. Veridon vermutete, dass es sich um den Dorftrottel handelte. Wieder ergriff der Mann Namens Blutschwert das Wort.
„Seht diese Säufer und diesen Idioten. Für sie ist kein Platz in der neuen Welt des Gottkönigs! Es ist unsere Pflicht sie zu töten, denn sie sind wie Ratten. Sie nisten sich bei uns ein und stehlen unser Essen. Doch der Gottkönig ist großzügig. Er glaubt daran, dass Leute sich bessern können! Darum frage ich euch: Wer von den beiden soll leben und die Möglichkeit bekommen sich zu beweisen?“
Schnell war Veridon klar, dass seine Situation ziemlich ausweglos war. Wenn die Dorfbewohner eine Wahl zwischen einem fremden Säufer und einem aus ihrer Mitte hatten, so würden sie sich eindeutig für jenen Mann aus ihrer Mitte entscheiden. Und so kam es dann auch. Erst waren die Rufe nur verhalten, doch dann gewannen sie zunehmend an Lautstärke. Sie forderten ihren Nachbarn leben zu lassen und den Fremden zu töten. Der Reiter hob die Hände um die Menge zu beschwichtigen.
„Ich habe euren Wunsch gehört!“
Mit einem Nicken gab er dem Soldaten neben Veridon ein Zeichen, der daraufhin sein Schwert zog – und den Dorftrottel niederstreckte. Ein Aufschrei ging durch die Menge, was von dem Herzog mit einem kalten Lächeln beantwortet wurde.
„Glaubt ihr wirklich, dass der Gottkönig sich von euch etwas sagen lässt? Ihr seid seine Untertanen! Von euch wird Gehorsam und Disziplin erwartet! Arbeitet hart! Hört auf meine Worte und die Worte meiner Soldaten! Werdet stark! Dann werden wir gemeinsam in die neue Zukunft schreiten. Ich werde einige meiner Soldaten bei euch lassen, damit sie euch bei eurem Weg unterstützen.“
Erneut gab er ein Zeichen und die Soldaten der Schwarzen Legion machten sich daran geordnet vom Platz ab zu marschieren. Erst jetzt wurde Veridon zweier Klauenwölfe gewahr, die hinter den Reitern zum Vorschein kamen. Sie näherten sich dem am Boden liegenden Toten und machten sich über ihnen her. Weder Veridon noch die Dorfbewohner wagten es sich zu bewegen. Hin und wieder ertönte ein lautes Knacken, als ein Knochen brach. Als sie fertig waren, kehrten sie zu den Reitern zurück, die daraufhin kehrt machten und ohne den Dorfbewohnern noch einmal Aufmerksamkeit zu schenken davon galoppierten. Veridon eilte hinter die nächste Hütte und übergab sich.
5. Vandrien, ein kleines Dorf nicht einmal einen Zyklus vor Pas
Schwer keuchend stützte sich Veridon an der Holzwand der Hütte vor ihm ab. Aus Richtung des Brunnenplatzes tönten die Geräusche der Soldaten zu ihm heran. Den Geräuschen nach begannen sie damit sich im Dorf einzurichten. Davon bekam Veridon jedoch nicht viel mit. Das Blut rauschte ihm in den Ohren und pochte heftig in seinen Schläfen. Als er sich nach einiger Zeit wieder beruhigt hatte, richtete er sich auf und überlegte was als nächstes zu tun sei. Er konnte unmöglich hier im Dorf bleiben. Welche Möglichkeiten blieben ihm dann? Im Westen lag das Feindesland. Würde er sich nach Norden wenden, könnte er versuchen sich bis zu den Barbaren nach Khalandra durchzuschlagen. Im Süden warteten die Klauenberge mit ihren hohen schneeverzierten Spitzen auf ihn. Und im Osten lag Pas. Zwar war die Schwarze Legion scheinbar noch nicht dorthin vorgedrungen, doch angesichts des Rückzugs der Eronster würde die Stadt bald fallen. Konnte er hoffen die Schwarze Legion zu überholen und noch vor ihnen durch den Pass zwischen den Bergen zu gelangen? Wohl kaum. Also blieb nur der Weg nach Norden.
Seine Gedanken schweiften ab zu den Ereignissen auf dem Brunnenplatz. Noch immer sah er den toten Mann vor Augen. Bei den Vieren, das hätte er sein können. Seine Gedanken drehten sich immer wieder im Kreis und er stand eine ganze Zeit lang wie eine Statue zwischen den Häusern. Dann besann er sich an seine Ausbildung zum Diener Bellums. „Liebe vor Lieblosigkeit, Denken vor Gedankenlosigkeit, Tat vor Untätigkeit, Ruhe vor Ruhelosigkeit.“, hatte sein alter Lehrer immer gesagt. Er atmete einige Male tief durch, um sich zu beruhigen. Jahrelang hatte er diesen Spruch vergessen, doch jetzt kehrte er in sein Bewusstsein zurück. Er fühlte sich dadurch gestärkt und ging die nächsten notwendigen Schritte im Kopf durch…
Als die Dunkelheit einem Schatten gleich über das Dorf hereinbrach kam Veridon aus seinem Versteck. Ein Großteil der Legion war weitergezogen, nur etwa zwanzig Mann waren zurückgeblieben. Sie hatte sich zwei der Häuser der Dorfbewohner zur Unterkunft auserkoren. Jetzt, da die Nacht hereinbrach, teilten sie Wachen ein, die jeweils zu zweit an den Grenzen des Dorfes mit Fackeln patroulierten. Veridon nahm sich einige Zeit das Muster ihrer Bewegungen in sich aufzunehmen. Dann passte er einen geeigneten Augenblick ab und verschwand hinaus in die Dunkelheit.
Nachdem er ein gutes Stück zwischen sich und das Dorf gebracht hatte, wagte er es innezuhalten um sich zu orientieren. Die Viere mussten ihm hold sein, denn Ausnahmsweise war der Himmel einmal nicht von dicken Wolken verhangen und so konnte er die Sterne erkennen. Er versuchte sich erneut an seine Ausbildung zurück zu erinnern. Damals waren sie mitten in der Nacht zu einem Marsch in voller Waffenmontur aufgebrochen. Als sie weit genug vom Ausbildungslager entfernt waren, wurden sie „zufällig“ von ihrem Anführer getrennt. Nur mit Hilfe der Sternbilder mussten sie sich orientieren und den Weg zurück finden. Das war eine der vielen kleinen Prüfungen gewesen, die man den Anwärtern des Bellumsordens damals auferlegt hatte. Doch das war Jahre her…
Es dauerte einige Zeit, dann glaubte er ein vertrautes Sternbild zu erkennen. Etwas links von ihm, etwa zwei Hand breit über dem Horizont befand sich „Vitamas Kelch“. Wenn das stimmte, waren die Sterne ein Stück weiter rechts „Der Hammer“ und gleich darunter „Der Amboss“. Wenn man die gedachte Linie zwischen Hammer und Amboss verlängerte, brachte das einen unweigerlich zu „Dem Trabenden Pferd“ und von dort aus ein wenig nach oben musste sich ein Stern Namens „Astraels Wille“ befinden. Er wies verlässlich nach Norden. Veridon konnte sein Aufjauchzen nicht verhindern und wurde sich erst zu spät bewusst, dass er immer noch in Hörweite des Dorfes war. Er hielt einige Augenblicke inne und lauschte in die Nacht hinein. Zum Glück schien ihn niemand bemerkt zu haben. Ein Blick über die Schulter sagte ihm, dass die Wachen noch immer ihren Routen folgten, erkennbar an den Fackeln die ein gespenstisches Licht auf die Häuser der Dorfbewohner warfen. Entschlossen sein Glück nicht noch länger auf die Probe zu stellen, wendete sich Veridon „Astraels Wille“ zu und beschleunigte seine Schritte.
Er lief bis zum Morgengrauen, dann wagte er es nicht weiter zu gehen. Es war nicht auszuschließen, dass die Schwarze Legion Späher entsandt hatte. Also suchte er sich ein Versteck unter einem Brombeerstrauch und verfiel dort in einen von wilden Träumen geplagten Schlaf. Er sah sich selbst auf dem Brunnenplatz des Dorfes, vor ihm der Mann den sie „Blutschwert“ genannt hatten. Er lachte ihn aus. Plötzlich erschien die Kräuterfrau Ilja neben ihm und flüsterte ihm ins Ohr.
„Du hast den alten Jüngling entkommen lassen, Nebelklinge.“
Er wandte sein Gesicht ihr zu, doch sie war verschwunden. Statt dessen ertönte ihre Stimme jetzt hinter ihm.
„Wegen dir musste der Mann sterben, Nebelklinge.“
Schnell drehte er sich herum, doch wieder war sie verschwunden. Als er sich wieder Blutschwert zuwendete sah er sie neben ihm stehen.
„Weißt du wer du bist?“, fragte sie.
Und Blutschwert wiederholte die Frage.
„Weißt du wer du bist?“
Beide sprachen sie nun wie aus einem Mund.
„Weißt du wer du bist? Weißt DU wer du bist? Weißt du wer DU bist? Weißtdu wer dubist? WeißtDUwerDUbist?“
Ihre Stimmen gingen über in ein Donnern, so dass Veridon sich gequält die Hände an die Ohren presste. Im nächsten Augenblick erwachte er schweißgebadet – und sah sich der Spitze eines Schwertes gegenüber, das auf seinen Hals gerichtet war.
Erschrocken versuchte er sich auf zu stemmen, doch die Klinge kroch noch etwas näher an seinen Hals heran.
„Das würde ich an deiner Stelle bleiben lassen.“
Blinzelnd folgte Veridons Blick die Klinge hinauf zum Gesicht ihres Besitzers. Der Mann hatte graues ungepflegtes Haar und sein Gesicht war mit grüner Farbe beschmiert. Überhaupt schien so ziemlich alles an ihm in verschiedenen Grün- und Brauntönen gefärbt zu sein. Er schien allein zu sein, zumindest konnte Veridon in seinem beschränkten Gesichtsfeld niemand anderes ausmachen.
„Wer…?“, krächzte er fragend.
„Schweig! Hier stelle nur ich Fragen. Und wenn mir deine Antworten nicht gefallen, werden es die letzten sein die du gibst. Du wirst nur dann sprechen wenn ich dich dazu auffordere. Hast du das verstanden?“
„Ja.“
„Wunderbar. Wenn du mitspielst sollte das nicht all‘ zu lange dauern und du kannst deinen Mittagsschlaf in aller Ruhe fortsetzen. Fangen wir also an: Name?“
„V…“, Veridon hustete kurz, sein Hals fühlte sich trocken an. „Veridon.“
„Veridon. Klingt nicht sehr Vandrisch. Woher kommst du?“
„Ursprünglich oder im Moment?“
Die Klinge senkte sich noch näher an seinen Hals heran und ritzte Veridon leicht die Haut.
„Darf ich dich an unsere Abmachung erinnern? Ich stelle die Frage, nicht du. Woher kommst du ursprünglich?“
„Bernstein.“
„Ah… Bernstein, ein schönes Land. Und was machst du hier? Du kommst wohl kaum wegen der frischen Luft und der Ruhe.“
„Ich… bin auf der Durchreise.“
„Auf der Durchreise. Wohin?“
Veridon zuckte schwach mit den Schultern, so gut es ihm in seiner Lage möglich war.
„Ahja…“
Der über ihm stehende Mann begutachtete ihn skeptisch.
„Du siehst mir nicht wie ein Herumtreiber aus. Auf den ersten Blick vielleicht, aber du hast etwas an dir, was ich nicht im Moment nicht zu deuten weiß. Das ist schlecht. Ich mag keine Überraschungen.“
Unruhig sah Veridon nach oben. Er war verdammt noch mal nicht aus dem Dorf entkommen, nur um von einem Fremden im Schlaf überrascht, niedergestochen und ausgeraubt zu werden. Er wog seine Möglichkeiten ab, doch mit der Klinge an seinem Hals sahen diese nicht gerade rosig aus.
„Was also soll ich tun? Du könntest ein Spion der Legion sein. Dann wäre es wohl das beste dich zu töten. Du könntest ein unbescholtener Bürger sein, der zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Dann wäre es vermutlich ein Fehler dich zu töten. Andererseits siehst du nicht so aus als würde dich jemand vermissen. Was wiederum dafür spricht dich zu töten, rein aus Sicherheit natürlich.“
Bei diesen Aussichten beschloss Veridon etwas zu riskieren.
„Ich weiß etwas über Blutschwert.“
Fast fürchtete schon die Klinge würde ihm noch näher kommen und in seinen Hals dringen, doch eine Reaktion blieb aus. Vielmehr wirkte der Unbekannte tatsächlich für einige Augenblicke überrascht. Dann kehrte seine Fassung zurück.
„Jetzt hast du mich neugierig gemacht, erzähl mir…“
„Hauptmann!“
Der Unbekannte wurde von der Stimme eines Dritten unterbrochen. Also hatte sich Veridon getäuscht und sie waren doch nicht allein. Ohne den Blick von ihm abzuwenden wandte sich der Schwertträger an den unsichtbaren Dritten.
„Was ist, Leutnant?“
„Der Späher hat im Süden einige Reiter ausgemacht. Sie nähern sich schnell.“
„Verstanden. Sagen sie dem Magier er soll ein Portal ins Lager öffnen.“
„Sehr wohl, Hauptmann.“
Der Hauptmann richtete seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf Veridon.
„Nun, Bursche, mir scheint als hättest du dir gerade eben eine magische Reise verdient. Auf die Beine mit dir!“
Das Schwert entfernte sich von seiner Kehle und mühsam begann Veridon sich zu erheben.
„Geht das auch ein wenig schneller? Wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit.“
Als er schließlich auf die Beine kam, sah Veridon das in der Näher noch vier weitere Männer standen. Sie alle trugen wie der Hauptmann grüne Kleidung. Einer von ihnen – wohl der Magier – war damit beschäftigt einige komplizierte Formeln zu rezitieren. Daneben stand ein Mann mit der für Späher üblichen Bewaffnung eines Kurzbogens. Die anderen beiden standen etwas weiter abseits. Einer von ihnen musste wohl der „Leutnant“ sein, der das Wort an den Hauptmann gerichtet hatte.
Als Veridon den Blick nach Süden wandte, konnte er dort mehrere schwarze Schatten wahrnehmen, die er niemals als Reiter hätte ausmachen können. Dann wurde seine Aufmerksamkeit von einem Knall beansprucht, mit dem die Luft vor dem Magier zerriss und das magische Portal freigab. Der Späher und die beiden anderen Männer eilten hindurch.
„Nach dir, Bursche. Und versuch keine Dummheiten. Mein Freund hier ist ausgebildeter Kampfmagier und macht aus dir schneller ein Häufchen Asche, als du deinen Namen sprechen kannst.“
So angetrieben eilte Veridon in Richtung des Risses in der Luft. Er war noch nicht sehr oft auf diese Weise gereist. Aus gutem Grund: Ihm wurde jedes Mal schlecht dabei. Noch einmal atmete er tief durch und trat ins Portal.
6. Vandrien, Lager der Königlich Kirchlichen Streitkräfte östlich von Pas
Gelangweilt kaute Veridon auf dem Stück harten Brot herum, dass man ihm gegeben hatte. Sein Blick schweifte zwischen den Eisenstäben hindurch zu den Wänden des Gefängniszeltes, in das man ihn gesteckt hatte. Durch die Zeltplane hindurch konnte er erkennen, dass sich Fela langsam dem Horizont näherte.
Kurz nach seiner Ankunft im Lager durch das magische Portal war er vom Hauptmann und seinem Trupp einem General der Königlichen Armee vorgeführt worden. An das Gespräch erinnerte sich Veridon noch recht gut.
Als die Truppe vor dem General Aufstellung bezog, musterte er sie nacheinander streng und richtete dann seinen Blick auf den Anführer.
„Bericht, Hauptmann!“
„Herr, wie befohlen haben wir die nördliche Route um den Ausläufer der Klauenberge herum ausgekundschaftet. Während der gesamten Zeit blieben wir ohne Feindkontakt. Allerdings sichteten wir am zweiten Tag einige Krähen am Himmel. Ob diese unter dem Einfluss des Feindes standen ist unbekannt. Sie waren zu weit weg um eine magische Betrachtung durchzuführen und wir fürchteten dadurch unsere Position zu verraten. Als wir uns aus nördlicher Richtung der Handelsstraße nach Pas näherten griffen wir diesen Zivilisten hier auf als er ein Mittagsschläfchen hielt. Kurz darauf stießen wir auf den Feind, weshalb ich den Befehl zum Rückzug gab.“
Die Augen des Generals legten sich bohrend auf Veridon.
„Hauptmann, habe ich euch nicht verboten Haustiere mitzubringen?“
„Herr, ja Herr. Allerdings hat der Zivilist angegeben etwas über Blutschwert zu wissen, Herr. In Anbetracht dessen hielt ich es für Weise ihn für eine Befragung ins Lager zu bringen.“
„Habt ihr schon sichergestellt, dass er kein Anker ist, Hauptmann?“
Der Hauptmann zögerte kurz.
„Nein, Herr, habe ich nicht.“
„Hauptmann! Muss ich euch an die Vorschriften zum Umgang mit Gefangenen erinnern?“
Der General richtete sein Augenmerk auf den Kampfmagier des Spähtrupps.
„Magus, führt die Untersuchung durch.“
Daraufhin war der Magier vor Veridon getreten und hatte begonnen einige Formel zu rezitieren. Ein stechender Schmerz und das Gefühl von innen nach außen gewendet zu werden hatte von Veridon Besitz ergriffen. Er hatte das Bewusstsein verloren und war daraufhin in diesem Käfig aufgewacht, vor sich ein Stück Brot und eine Schale mit Wasser. Scheinbar war er kein „Anker“, was auch immer das sein mochte, sonst wäre er wohl nicht mehr aufgewacht.
In diesem Augenblick wurde die Zeltplane am Eingang zurückgeschlagen und der Hauptmann trat in Begleitung eines weiteren Mannes ein. Offensichtlich hatte der Anführer des Spähtrupps die Zeit genutzt und sich die grüne Farbe abzuwaschen und frische Kleidung anzulegen. Er trug jetzt die Uniform eines Hauptmanns der Königlichen Armee. Sein Begleiter hingegen war in eine blaue Robe gehüllt. Zwar war Veridon schon seit einiger Zeit nicht mehr in der Kirche tätig, aber es fiel ihm nicht schwer das Kleidungsstück als Kampfrobe eines Diener Astraels zu identifizieren. Dieser holte dann sogleich auch einen Stapel Pergamente aus einer Umhängetasche hervor und machte es sich am Zelteingang auf einem Hocker gemütlich.
Der Hauptmann trat näher an den Käfig heran und richtete seinen Blick auf Veridon.
„Bitte verzeiht die Umstände. Wir haben in der Vergangenheit lernen müssen, dass wir sehr vorsichtig sein müssen, wenn wir mit den Dienern des Monsters zu tun haben. Bis wir uns sicher sind, dass ihr nicht zu ihnen gehört, werdet ihr in diesem Käfig bleiben. Natürlich können wir schneller eine Entscheidung fällen, wenn ihr mit uns zusammen arbeitet.“
„Das werde ich gern versuchen, Hauptmann. Aber dann hoffe ich, dass ihr zukünftig auf die Anwendung von Magie verzichtet. Mir brummt jetzt noch der Schädel.“
„Auch darum bitte ich euch um Verzeihung. Wir mussten sicherstellen, dass ihr kein Anker für ein magisches Portal seid. Der Feind hat sich angewöhnt die Ankerrunen im Körper von ahnungslosen Zivilisten zu verstecken. Wenn wir diese dann bei uns aufnehmen, öffnet sich ein magisches Portal und die Soldaten der Schwarzen Legion strömen hindurch. Es ist unnötig zu erwähnen, dass die Opfer dieser verderbten Magie dabei von innen heraus zerrissen werden. Auf diese Weise haben wir schon zwei Heereslager und Flüchtlingslager verloren.“
Veridon wurde ein Stück blasser und legte das Brot beiseite.
„Nun, vielleicht sollten wir beginnen. Euer Name ist Veridon?“
Der angesprochene nickte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass der Hauptmann vom abwertenden „du“ auf das höfliche „euch“ umgestiegen war. Er deutete dies als Zeichen, dass es mit seiner Situation bergauf ging.
„Ja, so ist es, Hauptmann.“
„Und ursprünglich kommt ihr aus Bernstein?“
„Ja.“
Im Hintergrund machte sich der Diener Astraels eifrig Notizen auf seinen Pergamentblättern.
„Was bringt euch dann nach Vandris, mitten ins Herz des Bürgerkriegs?“
„Wie ich schon sagte, befinde ich mich auf der Durchreise.“
Der Hauptmann setzte einen skeptischen Blick auf.
„So